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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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aus, tränkten ihre Pferde und machten sich über die essbaren Vorräte her. Rutgar ließ die wenigen seldschukischen Bewohner - Greise, Frauen und Kinder - zusammentreiben und verbot den armenischen und rhomäischen Dienern und Sklaven, ihre ehemaligen Herren zu misshandeln - bei Todesstrafe. Die »Kuffarim« gehorchten widerwillig.
    Jeder Schritt innerhalb und außerhalb der Gebäude zeigte den Reitern den Reichtum und die Schönheit der sorgsam gestalteten Einrichtung. Rutgar wählte für sich und Chersala einige Räume im Harim des Haupthauses und stellte eine Wache vor die Tür.
    Eine Stunde danach stiegen sie in die Sättel, nahmen die Waffen auf und begannen die Stadt zu durchstreifen. Das Morden und die letzten Kämpfe in den Gassen und Häusern, im Palast und in den Hainen und Gärten, erkannten Rutgar und Chersala, hatten jetzt, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, ihren Höhepunkt erreicht. Vielen Verteidigern schien es gelungen zu sein, sich bergaufwärts in die Festung zu flüchten, aber die hereindrängenden Ritter ließen nichts unversucht, alle Seldschuken Antiochias niederzumetzeln - Männer, Frauen und Kinder.

Kapitel XXVII
 
A.D. 1098, 3. BIS 4. T AG DES B RACHMONDS (J UNI )
I NNERHALB DER M AUERN A NTIOCHIAS
 
»Die Übeltäter aber sollen auf ewig der Höllenstrafe verfallen sein. Keine Erleichterung sollen sie erhalten, sondern sie sollen darin verzweifeln.«
(Al-Qur'ān, 43. Sure [»Der Goldprunk«], Vers 75)
 
    Als die stürmenden Ritter und die bewaffneten Pilger, verstärkt durch die Horden der Tafuren, im Morgenlicht die Stadt eroberten, verrieten die Christen der Stadt alle Verstecke und Schlupfwinkel der Muslime und zeigten den rastlosen Kriegern deren Häuser. Wurden Armenier oder Syrer irrtümlich angegriffen, schlugen sie Kreuze oder sangen fromme Lieder, um ihr Leben zu retten. Stunde um Stunde verging, in denen Häuser brannten, muslimische Familien ausgerottet und Beutestücke verteilt wurden. Das Heer der Christen nahm Antiochia in einem zwölfstündigen, blutigen und flammenden Rausch ein. In Häusern, Gassen und rings um die Tore verblutete und verbrannte die hingemetzelte muslimische Bevölkerung.
    Antiochia stank nach Rauch, Blut und Leichen, die Schreie der wenigen, die den Abend erlebten, mischten sich mit dem gegrölten »Deus lo vult!« oder »Toulouse! Toulouse!« und mit dem Gelächter von Betrunkenen.
    Auf den Schilden und Wamsen der Kundschafter und Späher des Generals Tatikios kreuzten sich rote Stoffstreifen oder Kreuze aus roter Farbe. Staubbedeckte Pferde tänzelten zwischen unzähligen Leichen hindurch, die, von Fliegen umwimmelt, in der Hitze zu stinken begannen.
    Vielleicht dreitausend seldschukische Krieger, viele von ihnen beritten, konnten sich unter Führung von Chams ad-Daula, dem Sohn des Emirs, in die Zitadelle retten, von Bohemund und seinen Rittern erbittert bekämpft. Was aus Emir Yaghi-Siyan selbst geworden war, konnte zunächst keiner sagen. Es hieß, er sei aus der Stadt geflohen; andere Gerüchte besagten, er sei bei dem Versuch, Widerstand zu leisten, getötet worden; Dritte glaubten zu wissen, dass er sich sicher in der Zitadelle befand. Niemand wusste etwas Genaues.
    Rutgar und Chersala, die Tatikios' Fahne trug, ritten an der Spitze eines kleinen Trupps auf die Kathedrale zu. Rutgar schämte sich ob seiner silbernen Sporen. Der Sturm auf die Mauern der Zitadelle hatte aufgehört; beim Kampf war Bohemund verwundet worden. Chams ad-Daula hatte das Angebot des Fürsten abgelehnt und verzichtete auf freien Abzug. Anscheinend, so sagten armenische Christen, wartete er auf das Entsatzheer, das Kerboga, Atabeq von Mosul, heranführte.
    »Noch heute wird Bohemund alle Tore schließen lassen«, sagte Rutgar. »Ich habe befohlen, dass alle Vorräte und sämtliches Werkzeug aus unserem Lager in die Stadt geschleppt werden.«
    »Ohne die Hilfe der Tafuren wäre das nicht zu schaffen«, erwiderte Chersala heiser. Das Ausmaß der Verwüstung, der Blutrausch der Militia in Christo, die zahllosen Bilder von Wunden, Blut, Tod und Verstümmlung hatten Rutgar erschreckt, obwohl er die Wildheit der Ritter längst kannte. Ihre hochtrabenden Namen waren Sinnbilder der Unfähigkeit zur Mäßigung. Ob sie nun Echo von Liankama oder Gozelo von Montaigu hießen oder Graf Hugo von Saint-Pol - sie weinten vor Reue, wenn Bischof Adhemar predigte, fürchteten sich vor Gottes Wundern und weideten Frauen und Kinder aus, weil sie »Ungläubige« waren. Einen Feind auf dem

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