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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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schroffer sein, dachte Rutgar und entsann sich, dass sich auch Konstantinopel des Besitzes der Heiligen Lanze Christi rühmte. »Zuerst hat dieser Peter Bartholomäus im Christmond eine Vision erlitten, als die Erde bebte. Ihm erschien ein weißhaariger Greis, der ihm sagte, er wäre der heilige Andreas. Er schickte den Bauern zu Bischof Adhemar, aber Bartholomäus getraute sich nicht. Im Monat Hornung kämpfte er um Proviant vor Edessa, wo ihm abermals der heilige Andreas erschien und ihm versicherte, er und andere Heilige würden leibhaftig auferstehen und an der Seite der Ritter kämpfen. Aber als er in das Lager vor Antiochia zurückgekommen war, erschien ihm der Heilige abermals und mahnte ihn. Aber Bartholomäus hatte Angst und versuchte, nach Zypern zu gelangen. Dreimal wurde sein Schiff zurückgetrieben und ist dann an einer Insel vor Sankt Simeon gestrandet.«
    »Das klingt nicht gerade nach einem heiligmäßigen Mann«, meinte Rutgar. »Und wenn es derselbe Peter Bartholomäus ist, den wir in den Bergen zusammen mit Kukupetros getroffen haben, dann ahne ich, woher er die Idee zu dieser Geschichte haben könnte.«
    »Bei der Eroberung der Stadt«, fuhr Thybold fort, »und beim Ausfall am 10. des Brachmonds war er dabei, schlug sich angeblich tapfer, und als ihm vor einigen Tagen wieder einmal der Heilige erschien, raffte er sich endlich auf.«
    »Woher weißt du das alles?« Chersala spähte zwischen den Zinnen hinunter zum Vorfeld. Innerhalb und außerhalb der Mauern war es bisher ruhig geblieben.
    »Ich war dabei, wie Bartholomäus sich endlich ermannt hat. Er traf die Fürsten, fast alle zusammen, am Wall vor der Festung.« Thybold zeigte zum Zitadellenberg. »Der Bischof von Le Puy, etliche Fürsten und der kranke Graf Raimund von Saint-Gilles, die in Waffen die Mauer vor der Zitadelle bewachten, hörten ihm zu.«
    In der heißen, unbewegten Luft über der Stadt und dem Umland leuchteten die Sterne des mondlosen Firmaments. Thybold redete weiter.
    »Er redete wie mit Pfingstzungen von seiner jüngsten Vision. In der Marienkirche, während des Bittgottesdienstes am vorigen Tag, seien nach der Feier die Geistlichen alle eingeschlafen, er, Peter Bartholomäus, aber nicht. Diesmal sei ihm nicht nur der heilige Andreas erschienen, sondern ein Fremder als sein Begleiter, der ihn gefragt habe, ob er ihn erkenne.
    Bartholomäus lag schon ein ›Nein‹ auf der Zunge, als er um das Haupt des Fremden einen kreuzförmigen Heiligenschein gewahrte. ›Bist du Jesus, Herr?‹, hatte er gefragt, und der Herr hatte mit ›Ich bin es‹ geantwortet und ihn nach dem Befehlshaber der christlichen Heere gefragt. Wahrheitsgemäß hatte er geantwortet, dass es mehrere Fürsten gab, deren Befehle galten, aber dass der Bischof von Le Puy alle Machtbefugnisse des Papstes und des Basileus in Händen hielt. Darauf hatte der Herr gerufen: ›Sage dem Bischof, dass sich seine Untergebenen versündigt haben, durch Fleischeslust, Gier und Unmäßigkeit. Wenn sie bereuen und zum christlichen Lebenswandel zurückkehren, werde ich ihnen in fünf Tagen Schutz und Erfolg senden.‹
    Bischof Adhemar lauschte mit steigender Aufmerksamkeit. Sankt Andreas und der Herr haben mir eine Offenbarung geschenkt, fuhr Bartholomäus fort. Die Heilige Lanze ist in der Kathedrale der Stadt vergraben, sagten sie. Alle Heiligen werden auferstehen und Euch, Ihr Herren Ritter, zum Sieg führen. Zuerst müssen die Fürsten, alle, beim Heiligen Sakrament schwören, dass keiner die Stadt verlässt. Dass sie die Gebote des wahren Christentums befolgen. Sonst wird uns der Herr kein Wunder bringen.«
    Rutgar wusste von Männern, die sich an Seilen über die Mauern hinuntergelassen hatten und geflohen waren. Selbst Wilhelm von Grandmesnil, Bohemunds Bruder, und eine Schar Priester waren geflüchtet. Die armenischen und syrischen Christen waren und blieben unzuverlässige Verbündete. Ob daran ein bloßes Gerücht über die Heilige Lanze etwas ändern würde, selbst wenn es sich, wie zu vermuten war, mit Windeseile verbreitete?
    »Wir brauchen in der Tat ein Wunder«, sagte er resignierend. »Ich glaube nicht mehr, dass Gott uns Wunder und Zeichen schickt.«
    »Aber lass mich das vorläufige Ende berichten: ›Ich werde schwören, als Erster!‹, rief Bohemund und hob die Hand. Auch Raimund schwor, dann Robert von der Normandie, Robert und Gottfried von Flandern, dann die anderen Fürsten. Ihr kennt ihre Namen. Adhemars Gesicht zeigte, dass er Bartholomäus'

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