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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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also begann Kerboga im Westen mit der Belagerung. Am 10. Tag des Monats wagten die Ritter einen Ausfall, der kläglich scheiterte. Aber es gelang den Brüdern Alberich und Wilhelm von Grand-Mesnil, die Belagerungsringe zu durchstoßen und zu den genuesischen Schiffen Guinemers in den Hafen Sankt Simeon zu reiten. » Allāhu akbar!«, schrien die Muslime in der Festung, als sie erkannten, dass die Belagerer endgültig zu Belagerten geworden waren.
    Jeder Ritterfürst hatte mit seiner Gefolgschaft die Verteidigung eines Mauerabschnitts übernommen. Es zeigte sich, nicht unerwartet von Bohemund, dass die Mauern zu lang, die Türme zu zahlreich, der Proviant zu karg und das muslimische Heer zu groß und zu wehrhaft waren. Die Franken begannen sich als Eingeschlossene zu fühlen; ihr Mut und jede Zuversicht sanken.
    Sie hofften auf das Eintreffen des Basileus Alexios, der angeblich bei Philomelion stand. Zwar flehte ihn Bohemunds Bruder Guido an, den Christen zu helfen, wie ein Bote zu wissen glaubte, aber das große Heer Konstantinopels marschierte zurück nach Norden. Aber all die Dinge, die jenseits der Mauern und des Gürtels der Belagerer geschahen oder nicht, änderten nichts an der Verzweiflung, die jeden Tag größer wurde.
    Es herrschten Hunger und Furcht, Erbitterung gegen den Basileus, das Hoffen auf Wunder oder den Tod als Erlösung. Der Glaube an das Kreuz und die Eroberung Jerusalems wankten und schwankten, und Entsetzen legte sich auf die Gemüter, als Kerbogas Krieger am 12. Tag des Brachmonds fast einen Turm in der Südwestmauer erobern konnten. Bohemund, in den Nächten mit gezogenem Schwert durch die Stadt galoppierend, ließ mehrere Reihen Häuser niederbrennen; so konnten sich die Berittenen und die Fußkämpfer hinter den Mauern ungehindert bewegen.
 
    Aber Gott ließ endlich das erhoffte Wunder geschehen, und so wurden mancherlei Träume wahr. Der Herr wählte als Gefäß seines Willens und seiner Fingerzeige einen Armen im Geiste und reinen Herzens, einen mit löchriger Kutte und dunklen Augen, in denen das Feuer des Sendungsbewusstseins brannte.
    Einige windstille Tage und Nächte gegen die Mitte des Brachmonds zu genügten, um Antiochia in eine Landschaft aus Gestank, Hoffnungslosigkeit und würgendem Hunger zu verwandeln. Zu zwei Dritteln umgaben die spitzen Zelte der muslimischen Belagerer die östlichen und nördlichen Teile des Mauerringes. Den Franken mangelte es an Kriegern, um alle Türme und Mauern und zusätzlich den Wall um die Festung auf dem Felsenberg zu besetzen und jeden Angriff der Truppen Kerbogas abzuwehren. Nahrungsmittel und Wein gingen zur Neige, und wenige Bissen kosteten viele erbeutete Münzen; nur die Reichen und ihr Gefolge wurden satt. Ein Ei war um zwei Trachis, ein kleines Brot um einen Hyperpyron zu haben. Die große Hungersnot rückte unaufhaltsam näher. Die Pilger brieten Esel, Maultiere und magere Pferde, zum Bereiten von Sud suchte man Blätter und Gräser und briet unreife Feigen. Viele arme Pilger kauten gekochtes Leder von Ochsen und Büffeln.
    Thybold, Rutgar, Chersala und eine Handvoll der Tatikios-Kundschafter standen und hockten hinter den Zinnen des Mauerteils nahe dem Hundstor. Einige Krüge voll gemischtem Wein standen abseits der Fackel, deren rußende Flammen senkrecht und fast lautlos brannten. Die Lichter im Meer der Zelte funkelten starr wie Sterne. Auch in der Festung, hinter den Fenstern des Palasts und der Häuser leuchtete ruhige Helligkeit. Thybold packte einen Krug, nahm zwei, drei Schlucke und wischte sich über den Mund. Er lächelte Chersala an und sagte:
    »Ich komme aus dem Lager der Provençalen, von Raimund, der ernsthaft krank ist. Da gibt es eine seltsame Geschichte, voller angeblicher Wunder, Erzählungen, vielleicht auch Lügen, inbrünstiges Gestotter und Gläubigkeit.«
    »Du kennst die Geschichte?« Rutgar zog fragend die Brauen hoch.
    Thybold stellte den Krug auf den Steinboden und nickte.
    »Erzähl!«
    »Ein schmutziger Bauer, Peter Bartholomäus, in einer zerschlissenen Kutte, wurde heute zum Bischof von Le Puy und zu Raimund vorgelassen. Er hat von der Heiligen Lanze geredet, die unseren Herrn Jesus«, Thybold bekreuzigte sich, »am Kreuz durchbohrt hat.«
    »Das ist, so hab ich es von Peter von Amiens, dem Einsiedel, gehört, die heiligste Reliquie der Christenheit!«, rief Rutgar. »Was weiß er von der Lanze?«
    »Das ist eine Erzählung für eine lange Nacht.« Thybold lachte. Berengers Lachen würde lauter und

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