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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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gemacht. Danke, Sheik Afdal. Wenn niemand die Worte lesen kann, hilft es mir auch nichts.«
    Er verbeugte sich und versteckte den Ring am alten Platz. Die muslimischen Reiter packten die Zügel der Saumtiere und trabten davon; nicht einer der jubelnden Pilger sah ihnen nach. Berenger rief seine Leute zusammen. Als sie um ihn einen dichten Ring bildeten, erklärte er, welche Befehle er noch in Antiochia von Tatikios erhalten hatte. Zwei Stunden später, nachdem sie die Tiere versorgt, gegessen und getrunken hatten, folgten sie Berenger, der eine Fahne in der Farbe des Islam trug. Der Ritt führte sie bis zum Abend einmal um die Stadt herum, bis zurück zum Fuß des Montjoie.
 
    Noch am selben Tag verteilten die Fürsten ihre Heere in achtungsvollem Abstand von den Mauern, die so uneinnehmbar zu sein schienen wie die von Nikaia und Antiochia. Robert von der Normandie und sein Namensvetter von Flandern, auch Conant von der Bretagne errichteten ihr Lager im Norden. Vor den eigentlichen Stadtmauern klafften tiefe Gräben, und vor diesen erhoben sich niedrigere Mauern. Das Tor in der Nordmauer, von den Arabern »Säulentor« und von den Franken »Sankt-Stephanus-Tor« genannt, schien ebenso uneinnehmbar wie das »Blumentor«, das sich einige Klafter neben dem Säulentor öffnete.
    Im Osten, am Ölberg, zum Tal Josafat, gab es ein tiefes Felsental, das Kidrontal, über dem sich die wuchtigen Quader steil erhoben. Dort befand sich das »Goldene Tor«. Auch im Westen, trotz des »Davidstores«, schien es unmöglich, die Mauern zu erstürmen. Dort erhob sich in der Mitte der Mauer der Davidsturm, ein Bauwerk auf uralten Fundamenten, von tiefen Gräben und Mauern umgeben, mit eisernen Türen und vielen Stufen. Die Späher hatten herausgefunden, dass im Turm Getreide lagerte und dass der General Iftikhar ad-Dawla dort residierte. Gottfried von Bouillon lagerte vor dem Turm und sperrte die Straße, die zum Davidsturm führte.
    In der südwestlichen Ecke, beim Berg Zion, schlug der Graf von Toulouse sein Lager auf. Zu ihm gesellten sich Tancred und zwei italische Bischöfe mit ihren Gewappneten. Auch im Südosten erstreckte sich ein steiles Tal, das Gehenna hieß. Beim »Zionstor« im Süden und in der Nähe des Tempelberges sahen die Belagerer in der Mauer die eisenbeschlagenen Bohlen des »Misttors«.
    Die Christen glaubten, dass sechzigtausend Juden und Araber innerhalb der Mauern wohnten, mindestens aber fünfzigtausend, und es hieß, dass mindestens so viele Christen wie Muslime in Jerusalem ansässig gewesen seien. Die Stadt hatte genügend Wasser für eine lange Belagerung; alle Zisternen waren gefüllt.
    Raimund verließ einige Tage nach der Ankunft seinen Platz und baute sein Lager beim Berg Zion auf, weil das Tal verhinderte, dass er den Mauern näher kam. Berengers Kundschafter lagerten beim Heer Roberts von der Normandie. Sie waren durch Befehle gehalten, nicht den Belagerern beim Sturm beizustehen, sondern nichts anderes als Späherdienste zu leisten. Aber auch an diesem Ort gab es kein Wasser.
    Nur die Quelle des Teiches von Siloah, in Reichweite der Pfeile von der Südmauer herab, lieferte an jedem dritten Tag brauchbares Wasser; jeder Krug, jeder Ziegenbalg musste sechs Meilen und weiter im Umland geschöpft werden. Berenger wies seine Männer an, die Stellen zu finden, an denen Quellen sprudelten, und sofort jedes Hohlgefäß zu füllen und ins Lager zu schaffen.
    Rutgar fand Zeit und Muße, seine Gedanken und die jüngsten Erinnerungen niederzuschreiben. Er setzte sich in den Schatten des Zeltvordachs, strich eines seiner letzten Pergamente auf dem Schreibbrett glatt und rührte die Tinte an.
 
    Jean-Rutgar schreibt aus dem Lager vor Jerusalem an Herrn Neidhart zu Köln im Stift Sankt Marien:
    Im Reich des Basileus haben wir gegen Seldschuken gekämpft. Sie sind Muslime, ebenso wie die Araber und die Fatimiden, gegen die wir hier in Palästina und im Süden kämpfen. Aber alle werden von den Pilgern ohne Unterschied »Sarazenen« genannt. Sie haben eine gemeinsame Schrift und eine Sprache, aber in jedem Land ist sie ein wenig anders. Sie beten jeden Tag fünf Mal zu Allah. Dieses Wort heißt in ihrer Sprache »Gott«; also sind die Muslime weder gottlos noch Ungläubige. Aber sie nennen uns, die Fremden, »Ungläubige« und wegen der blutdürstigen Kampfeswut unserer Ritter auch »Christenhunde«. Isa, einer ihrer Propheten, ist unser Herr Jesus. Sie zählen die Tage und Monde anders als wir und schreiben, dass

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