Jerusalem
Lagers deutliche Spuren hinterlassen. Die gut zwei Dutzend Kundschafter, eingeschlossen Chersala, verbrauchten das kostbare Wasser nur, um zu trinken, Sud zu kochen und die Pferde zu tränken. Zehn Reiter mit Lasttieren waren unterwegs zum Jordan, um die schlaffen Wassersäcke der Truppe zu füllen. Die schmutzigen Bärte wucherten, die Haut juckte unerträglich. Die Seiten der Zelte waren waagrecht aufgespannt, aber die Hitze nistete auch im Schatten. Tausende stritten sich Tag und Nacht am Tümpel von Siloah um Wasser, während halbnackte Männer an den Belagerungstürmen zimmerten; diese Quelle hatte die seltsame Eigenart, nur alle drei Tage zu sprudeln.
Schweiß stand auch auf Berengers Oberkörper. Er beugte sich über Rutgars Schulter und sah schweigend zu, wie Rutgar schrieb und darauf achtete, dass keine Schweißtropfen auf das Pergament fielen. Chersala saß im Schatten, fächelte sich Luft zu und blickte über die Stadt hinweg ins Leere. Am 9. Tag des Heumonds schrieb Rutgar:
Jean-Rutgar schreibt weiter an Herrn Neidhart zu Köln:
Nach dem fehlgeschlagenen Sturmangriff hielten die Fürsten Kriegsrat und beschlossen, nicht wieder anzugreifen, bevor nicht genügend Sturmleitern und Belagerungstürme gebaut worden waren. Die Schiffe haben reichliche Ausrüstung und Handwerker gebracht; auch wir Kundschafter werden helfen. Aber es fehlt an Holz. Die Hügel um die Stadt sind kahl, und so sind Tancred und Robert von Flandern in die Wälder von Samaria geritten und mit schwerbeladenen Lastkamelen zurückgekommen. Auch muslimische Gefangene schleppten Bretter und Balken. So werden nun Sturmleitern und große Türme gebaut; einer, dessen Bau Gaston von Béarn leitet, für Gottfried und einer für Raimund, den Wilhelm Ricou beaufsichtigt. Im heißen, feuchten Wind, der aus Africa kommt, schleppen sich alle Arbeiten dahin. Abermals gerieten die Fürsten wegen nichtiger Dinge in heftigen Streit.
Chersala nippte am warmen Wein, den sie mit Wasser gemischt hatte, als es noch leidlich frisch war. Sie hob den Kopf und wischte mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
»Schreibst du deinen Mönchen, dass alle Priester, Bischöfe und Ritter samt den Knechten und den Pilgern den Verstand verloren haben?«, sagte sie anzüglich. »Nicht nur, dass sie wie zänkische Weiber streiten. Tancred will Fürst von Bethlehem werden, weil er es erobert hat, aber die anderen sind dagegen. Unentwegt beten und singen sie, feiern Messen, sind verzückt, wenn sie die Stadt ansehen, und viele wollen sogar zurück, ohne die Stadt eingenommen zu haben. Als wären sie alle vor Glückseligkeit und Hader betrunken.«
»Das sollen ihre eigenen Leute schreiben«, antwortete Rutgar und zuckte mit den Schultern. »Raimund von Aguilers. Oder Fulcher von Chartres. Oder ein anderer Schreibkundiger. Ich werde mich hüten, Liebste.«
»Sie hat recht«, sagte Berenger und sah einem Staubwirbel nach, der über den Hang tanzte und die Geräusche durcheinanderwirbelte, die vom Bau der Belagerungsgeräte stammten. »Eine große Rotte hat sich im heiligen Jordan ein zweites Mal taufen lassen, wedelte mit staubigen Palmzweigen und ritt nach Jaffa, weil sie dort Schiffe zu finden hofften. Und weil es dort Essen und gutes Wasser gibt. Angeblich.«
Berenger und Chersala hatten unzweifelhaft recht. Die Pilger, bewaffnet oder nicht, schienen allesamt närrisch geworden zu sein. Obwohl im Lager bekannt war, dass ein mächtiges Heer aus Ägypten sich näherte, stritten die Fürsten weiter, bis der Priester Desiderius zum zweiten Mal vor die Fürsten trat.
Jean-Rutgars Brief an Bruder Odo und Bruder Rasso zu Cluny, Grafschaft Mâcon in Frankreich:
Desiderius hatte in seiner ersten Vision, vor Bartholomäus' Gottesurteil, Bischof Adhemar in Höllenflammen gesehen. Am Morgen sprach er zu Adhemars Bruder, Wilhelm Hugo von Monteil und seinem eigenen Lehnsherrn Isoard von Gap und berichtete, Bischof Adhemar sei ihm erschienen und habe versichert, man würde Jerusalem binnen neun Tagen erobern, nachdem man gefastet habe und barfuß und reinen Herzens einmal um Jerusalems Mauern gepilgert sei. Die Pilger glaubten der Vision und den Worten des Priesters, fasteten trotz des würgenden Hungers drei Tage und begannen mit der Prozession. Die Bischöfe führten den Zug an, die Priester und Ritter folgten mit den Reliquien. Jedermann trug ein Kreuz, auch die Fußsoldaten und alle Pilger. Alle waren barfuß, und von den Stadtmauern herunter höhnten und lachten die
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