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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Muslime ob des seltsamen Bildes.
    Am Ölberg versammelten sich alle Pilger, und dann predigten Peter »Kukupetros« der Einsiedel, dann Raimund von Aguilers, zuletzt Arnulf von Rohes, dessen Worte alle Pilger mit Zuversicht und heiligem Zorn erfüllten. Selbst Raimund und Tancred schwuren, ihre Händel zu vergessen, und entschlossen sich, mit der Belagerung zu beginnen.
 
    Der Anführer der Genueser Handwerker und Matrosen, Wilhelm Embriaco, trieb die erschöpften Männer an. Asier, ein Späher Berengers, half mit einigen Männern. Binnen weniger Tage waren die beiden Türme fertig gezimmert und wurden mit Schleudern und Fallbrücken ausgerüstet. An die Außenwände nagelten die Pilger frische, in Essig getränkte Häute von Kamelen und Ochsen, damit die Türme nicht dem Griechischen Feuer zum Opfer fielen. Die einen bauten an den Türmen; andere, Knechte und Pilger, Frauen, Kinder und alte Männer, schleppten Steine und Sand und füllten die Gräben auf, sodass die Türme beim Blumentor gegen die Nordmauer und die südliche Mauer beim Berg Zion gerollt werden konnten.
    »Vor langer Zeit kannten nur wir in Konstantinopel das Geheimnis dieses flüssigen Feuers«, erklärte ihnen Berenger nachts. »Ein Verräter hat den Muslimen die Bestandteile verraten. Jetzt kennen sie's auch.«
    Er schilderte Chersala und Rutgar, dass die Substanz aus Kalk, Schwefel, Pech und Salpeter bestand, mit Steinöl gemischt. Mit Wasser war dieses Feuer nicht zu löschen, wohl aber mit Essig, also übersaurem Wein. In Krüge gefüllt und angezündet, auf den Gegner oder dessen Maschinen geschleudert, war es eine furchtbare Waffe. Berengers ausgestreckter Arm zeigte auf den unfertigen Belagerungsturm.
    »Iftikhar hat zugesehen, wie sie ihre Türme gebaut und die Dämme aufgeschüttet haben. Wenn ich den Lärm hinter den Mauern richtig deute, bereiten sich die Muslime vor und verstärken die Mauern. Dort, wo sie die Türme heranrollen sehen.«
    »Ich würde nichts anderes tun«, pflichtete ihm Rutgar bei. »Die Unsrigen sehen aber auch, dass er die Mauern verstärkt und mehr Verteidiger an diese Stellen schickt.«
    »Erinnere dich an Nikaia und Antiochia!«
    »Genau das tu ich«, antwortete Rutgar. »Herzog Gottfried kennt jeden Fußbreit vor den Mauern und Toren. Die Nordmauer ist hoch, dick und lang. Warum sollte er verlustreich gegen die am meisten gesicherte Stelle anrennen?«
    Im Schutz der Nacht wurden die zerlegten Belagerungsgeräte, der Widder und die Wurfmaschinen nach Osten geschleppt, geschoben und gezerrt, so leise wie möglich, auf rauem, aber ebenem Boden. Trotz der Schwäche der Arbeitenden und des weiten Weges zum neuen Standort gelang es, die grauenhaft knarrenden und schwankenden Türme zu unbefestigten Teilen der Mauern zu schleppen.
    Hitze, Staub und flirrende Luft verzerrten alle Bilder. Unter den Mauern waren schwer zu deutende Geräusche zu hören. Die Nachtstunden krochen dahin, aber der Lärm hielt an. Den Widder und die Steinschleudern zerrte man dorthin, wo hinter der Mauer die Sankt-Stephanus-Kirche stand; auch ein Heerlager mit allem Tross verlegte sich im Schutz der Nacht hierher.
    Zuerst richteten die Schleudern, Ballisten und Katapulte ihre Würfe gegen die stroh- und wollegefüllten Säcke, wo sie wenig Schaden anrichteten. Aber als die Säcke von Steinbrocken zerfetzt und zerschlissen und, von Brandpfeilen in Flammen gesetzt, verbrannt waren, trafen die großen Steine die Mauern und zermürbten sie. Die Verteidiger flüchteten von der Vormauer und gaben sie auf. Während aller Stunden des Tages hämmerte der große Widder die eiserne Spitze seines Kopfes gegen die Steine, bis die Vormauer zusammenbrach. Nun gab es Steine, die man in die Stadt schleudern konnte, im Überfluss, und durch die Bresche zerrten die Belagerer ihre Schleudern und den Widder bis an die eigentliche Stadtmauer. Bis zum Anbruch der Nacht kämpften Verteidiger und Belagerer gegeneinander und trennten sich, ohne dass eine Seite gewonnen hätte.
    Nachts breitete sich im Fackellicht geisterhaftes Treiben zwischen dem Belagerungsturm Herzog Gottfrieds, dem Standort des Widders und der Stelle aus, von dem man den Turm zur Mauer schieben wollte. Der Turm wurde in solche Stücke zerlegt, die von einigen Männern getragen werden konnten, und am neuen Platz wieder zusammengebaut. Dieser Platz war außerhalb der Reichweite jener Katapulte, die von den Mauern herabschossen. Beim ersten Sonnenstrahl begann der zermürbende Anprall des Widderkopfes

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