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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Tage lang zogen die Franken durch die weglosen Wälder der rhomäischen Provinz. Der Forst hallte wider vom Gesang, in das Murmeln der Gebete mischte sich unaufhörliches Knacken und Brechen trockener Äste. Peter ritt auf dem Esel voraus, neben sich Rutgar, der seinen Rappen hinter sich herzog, jede Quelle fand, sich zur Verwunderung vieler Pilger unsinnig oft wusch und nicht nur sein Tier tränkte, sondern auch Peters struppigen Esel zum Wasser führte.
    Peter hatte etliche Boten mit einem Brief, den Jean-Rutgar für ihn aufgesetzt hatte, zu Niketas geschickt; der Statthalter solle Proviant und Land zum Lagern bereithalten. Die Franken wollten alles, was sie aßen und tranken, mit gutem Geld kaufen, hatte Rutgar geschrieben. Aber wegekundige Führer und Begleiter, um die Peter und Ritter Walter von Tecks durch berittene Boten gebeten hatten, schickte ihnen Niketas nicht entgegen.
    Obwohl sich die Spitze des Zuges einige Male verirrte und manch beschwerlichen Weg zweifach zurücklegen musste, schlängelte und kämpfte sich der Menschenwurm mitsamt den Pferden, Saumtieren und Karren auf schlammigen oder felsigen Pfaden, Kinder und Kranke auf dem Rücken tragend, in wirren Schlangenlinien, oft entlang der Zuflüsse der Save oder der Donau - niemand wusste es genau - unaufhaltsam auf Nisch zu.
    Jede Handvoll Tage tauften Peter oder seine geistlichen Brüder einige Neugeborene; tagein, tagaus starben Pilger und mussten begraben werden. Ungebrochener Glaubenseifer und der Drang, aus der Dunkelheit der schier endlosen Wälder herauszukommen, trieb die Menge weiter; ihre Begeisterung war von inbrünstiger Hartnäckigkeit. Rinder blieben brüllend mit gebrochenen Läufen liegen und wurden geschlachtet und zerhackt, Schafe zerrissen ihre Felle an den Dornen der Ranken, das Gehörn der Ziegen verhakte sich in Astgabeln und im dornigen Buschwerk, wo die Kinder nach Beeren suchten und sich die Haut an Dornenranken aufrissen. Karren mussten über gestürzte Baumstämme gewuchtet werden.
    Viele junge Rittersprösslinge und Gesetzlose, aber auch Handwerker und Bauern trugen Waffen, die sie den toten Ungarn abgenommen oder aus Semlins Magazinen und Belgrads Häusern gestohlen hatten. Aus einer Masse schutzloser Pilger war ein halbwegs gut bewaffneter Heerhaufen geworden, der Vogelschwärme, verwilderte Hunde und Katzen und andere kleine Tiere aufscheuchte und eine Schneise der Verwüstung in den Wäldern zurückließ.
 
    In Nisch sah sich Fürst Niketas nun gezwungen zu handeln. Reitende Boten hetzten zwischen den Städten hin und her. Die Nachrichten, die ihn erreicht hatten, versprachen den gastfreundlichen Ungarn nur Zuchtlosigkeit, Übergriffe und Kämpfe. Niketas warb ungarische Söldner und noch mehr Petschenegen an und hoffte auf Truppen des Kaisers aus Konstantinopel, um die er ersucht hatte. Und wieder wurde es Nacht; die fünfte dieser schauerlichen Wegstrecke, dachte Peter, wenn er richtig gezählt hatte. Rutgar bestätigte Peters Rechnung.
    Was sie zuerst für eine Lichtung gehalten hatten, erwies sich als ein lang gestrecktes hügeliges Tal, durch das ein Bach mäanderte. Peter stieg ab und gab das Zeichen zum Lagern. Er und Rutgar sattelten den Esel ab, hoben die Traglast vom Rücken des Rappen, führten die Tiere zur Tränke und, während diese soffen und die Männer ihr Wasser abschlugen, wuschen Peters gläubige Anhänger das treue Grautier, striegelten es und rieben es mit Grasbüscheln trocken; Rutgar pflegte ebenso gewissenhaft sein Pferd; die hart gewordenen Salben blätterten ab und zeigten nachgewachsenes Fell. Das Pilgerheer überflutete im letzten Tageslicht das Tal, und sofort wurden Bäume gefällt und Holz für die Feuer zusammengetragen. Als der Esel am Waldrand, wo Frauen und Halbwüchsige eine Reihe Gräber schaufelten, friedlich neben Rutgars Schwarzem graste, zog sich Peter zwischen einige Bäume zum Gebet zurück.
    Graf Walter von Breteuil ritt heran, sattelte ab und wartete, bis Peter das Kreuzzeichen schlug und sich ächzend in die Höhe stemmte. Graf Walter betrachtete ausdruckslos Rutgars eingefetteten und blank geputzten Waffengurt und das Schwert und meinte: »Nun, Vater Einsiedel, scheinen wir gleich weit von unserer Heimat wie vom Heiligen Land entfernt zu sein. Werden uns unsere beschwerlichen Schritte bis nach Jerusalem tragen?«
    Peter faltete kurz die Hände und sah in das bärtige Gesicht unter dem Kettengewebe. Blattreste klebten im kalten Schweiß auf der schmutzigen Haut. Das

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