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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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ein, dass ihm Peters Leute nicht gehorchten; sie hielten die Bewegung für eine Aufforderung zum Kampf. Auf den Mauern der Zitadelle, die Graf Guzz befehligte, erschienen bewaffnete Ungarn, während sich der kleine, streitende Haufen zum Tor zurückzog. Die Deutschen hatten die Söldner halb umringt und trieben sie vor sich her.
    Einige Atemzüge später galoppierten Gottfried Burels Männer und das Gefolge Graf Tecks zwischen den löchrigen Zelten und den Strohhütten hervor, drängten sich zwischen die Fußkämpfer und setzten sich an deren Spitze.
    Jean-Rutgar ahnte, dass er zu spät kam, um Peters Gefolgschaft aufhalten zu können; der wilde Blick, den ihm Gottfried Burel zuwarf, bewies es. Auf dem langen Weg bis nach Semlin hatten sich selbst die Jähzornigsten bezwungen, aber heute gewannen die Zuchtlosen innerhalb des Heeres die Oberhand.
    »Sie werden morden und plündern!«, rief er. Er fürchtete das Schlimmste. Außerdem wussten die Pilger ebenso gut wie die wenigen Ritter, dass die Magazine der Zitadelle gefüllt waren; Waffen und hauptsächlich Vorräte lagerten dort, angeblich für viele Tausend Männer; mehr, als die Stadt Bewohner hatte.
    Binnen weniger als einer halben Stunde brannten die Tore und waren die Mauern an den niedrigsten und schwächsten Stellen überwunden. Ohnmächtig musste Rutgar zusehen, dass sein Einfluss auf die Besonnenen im Heer in diesen Stunden völlig dahingeschwunden war; seine inbrünstigen Flüche und Befehle verhallten ungehört.
    Die fränkischen Pilger hatten sich mit allem bewaffnet, womit man zuschlagen, stechen oder töten konnte. Die Ungarn, die völlig überrascht waren, wehrten sich verzweifelt, wurden zurückgetrieben und starben zu Dutzenden auf den Mauern und in den Sälen und Waffenkammern. Steine schwirrten durch die Luft, viele kleine Brände brachen aus, die Mauern hallten wider vom Schwertklirren und den Schreien der Verwundeten.
    Die Menge der fränkischen Christen, die gegen ungarische Christen kämpfte, war erdrückend groß und glich dem vernichtenden Hochwasser, das alles scheinbar Feste mit sich riss. Flüchtende wurden niedergemacht, blutroter Wein gluckerte aus den aufgeschlagenen Fässern, und das wilde Schlagen und Töten ging rauschhaft weiter.
    Es hieß, einige Tausend Soldaten, darunter viele der gefürchteten Petschenegen-Söldner, schützten Semlin und lagerten in der Zitadelle. Aber so viele, sagte sich Rutgar, waren es sicherlich nicht, sonst hätte sich der Angriff längst festgefahren.
    Rutgar versuchte, Petschenegen und Pilger voneinander zu trennen. Er hatte zu kämpfen gelernt, aber seine Art zu kämpfen war schnell, hinterhältig und hart. An Stellen, wo schlecht bewaffnete oder flüchtende Pilger in Bedrängnis kamen, galoppierte Rutgar heran und schlug mit der schwirrenden Waffe zu. Die Mitte eines Schildes zu treffen, wo er innen von der Hand und vom Unterarm gehalten wurde, war nicht schwer; wenn der Rand des Schildes aber vor dem Kopf mit aller Kraft getroffen wurde, kippte der Schild und schlug ins Gesicht des Trägers oder in seine Rippen. Mit äußerster Wucht hämmerten die splitternden Schildränder gegen Zähne, Nasen und Augen der Verteidiger, die heulend vor Schmerz und blutüberströmt zurücktaumelten.
    Die fränkischen Ritter verwundeten und töteten, bis sie keinen Widerstand mehr spürten, und erschraken bis ins Mark, als das rauschhafte Kämpfen vorbei war. Man zählte am Abend viele tote und sterbende Ungarn und kaum mehr als zwölf Dutzend erschlagene Franken. Rutgar sprengte eine Stunde lang im Zickzack durch das Getümmel, und seine gebrüllten Befehle trieben einzelne Pilger, Gruppen und Gespanne auf die Straße nach Süden.
    Auf der Brücke hing ein toter Franke, mit dem Bauch auf dem Geländer. Sein Kettenhemd hatte sich um seinen Hals und die Schultern zusammengeschoben. Rutgar stieg ab, zerrte das »fränkische Koller« herunter und sah, dass es rostig und löchrig war. Er wickelte es zusammen und legte es quer vor den Sattel. Einen Steinwurf weiter fand er ein blutiges Schwertgehänge, dessen von Nässe schwarzer und abgeschabter Gurt zerrissen war.
    Die Kämpfe waren vorbei. Dampfwolken brodelten von den schwelenden und abgebrannten Balken und Wänden. Rutgar ritt zum halb aufgelösten Lager, suchte den Knappen, gab ihm Pferd und Morgenstern zurück und suchte seinen mageren Rappen. Er saß auf. Zum ersten Mal duldete ihn das Tier ohne Sattel auf dem Rücken; Rutgar trabte aus dem Lager hinaus, auf die

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