Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
Sans-Avoir geritten waren. Die letzten Stunden des ersten Tages und die Nacht verliefen ruhig. Gegen Mittag brach in Semlins Basar Lärm aus, der innerhalb kurzer Zeit zunahm und in eine Prügelei mündete. Dann wurden Waffen gezogen; ein Schrei pflanzte sich bis ins Lager der Pilger fort:
    »Die Ungarn greifen an! Sie wollen uns alle töten!«
    Peter der Eremit war vor einer halben Stunde an der Spitze einiger Tausend Pilger aufgebrochen. Auf der Straße entlang des Dorfbachs sah Rutgar gerade noch die Kreuze, die an langen Stangen angebunden waren. Die letzten Worte eines Gebets aus vielen Kehlen verhallten im Lärmen und Geschrei, die aus dem Basar drangen.
    Rutgar hielt einen berittenen Knappen an, griff in den Zügel des Pferdes und rief: »Gib mir deinen Gaul! Und - hast du eine Waffe?«
    Der junge Mann erkannte Rutgar, sprang aus dem Sattel und zog einen Morgenstern aus dem Mantelsack. Die Kette klirrte um die Stacheln der Eisenkugel. Aus der Richtung des Basars, des Stadttors und der Zitadelle rannten Bewaffnete, die nach einem Ziel zu suchen schienen. Rutgar schwang sich auf den Rücken des Braunen und sagte scharf: »Renn zu den Pilgern! Sie sollen sich sammeln und Peter hinterherlaufen.«
    »Ich versuch's, Jünger Rutgar.«
    Rutgar wusste, was er zu tun hatte. Auf dem langen Weg hatte er es ein Dutzend Mal bewiesen. Er galoppierte an und ritt zwischen dem Lager der Pilger und der Stadtmauer auf der Straße entlang und schrie den Pilgern zu, nach Süden zu gehen und Peter zu folgen. Aber er sah, dass sich die Ritter zum Kampf bereit machten. Die Menge der Petschenegen, die aus der Zitadelle kamen, wurde größer, das aufgeregte Geschrei und das Hundegebell und das Waffenklirren von links und rechts wurden lauter. Drei bewaffnete Pilger galoppierten auf das Stadttor zu. Rutgar schwenkte den Morgenstern über dem Kopf und brüllte Befehle und Warnungen, aber niemand schien auf ihn zu hören.
    Eine halbe Stunde später war jeder Versuch, den Kampf aufzuhalten, sinnlos geworden. Vom Rücken seines schäumenden Pferdes, das auf der Stelle tänzelte, rief Gottfried Burel, der sein Schwert gezogen hatte:
    »Du hörst es, Jünger vom Prediger! Sie greifen an! Sie haben Walters Ritter erschlagen, und jetzt wollen sie uns aushungern und umbringen. Zu den Waffen!«
    »Niemand hat den Sinehabere erschlagen! Es ist nur eine Streiterei zwischen ein paar Hitzköpfen!«, rief Rutgar. Er hob verzweifelt die Arme. Im Lager der Christen breitete sich Aufruhr aus. Rutgar ritt zurück zu seinem mageren Klepper und beruhigte das scheuende Tier, gab den Zügel einem aufgeregten Jungen und sprengte weiter. Schreie und Waffenklirren waren vom Tor zu hören, Pferde wieherten grell. »Mir haben sie gesagt, es geht um ein Paar Stiefel! Hört auf, greift nicht an!«
    Der Ritter wies mit der Schwertspitze auf die Stadtmauer und die Rüstungen, deren Rostspuren die Steine fleckten. Rutgar fühlte sich, als reite er weit außerhalb des wirklichen Geschehens mit der Vorhut, die nicht zu diesem Haufen gehörte. Im gleichen Augenblick schlossen sich die schenkeldicken, eisenbeschlagenen Stadttore. Etliche Herzschläge später hörten Rutgar und der von Burel das hohle Poltern.
    »Wenn sie nicht nachgeben, holen wir uns das Essen aus der Stadt!«, schrie Gottfried.
    Walter von Tecks Hand fuhr zum Schwertgriff, als er neben Rutgar sein Pferd zügelte. »Die Ungarn haben sich mit den Bulgaren zusammengetan! Sie wollen uns ausrauben!«
    Gottfried Burel wandelte sich plötzlich zu einem kämpferischen Anführer. Er hatte sich während des Pilgermarsches nicht einen Tag lang unrühmlich hervorgetan. Er riss trotz Rutgars beschwörender Worte sein Pferd herum und galoppierte auf die Ritter zu, deren Pferde von den aufgeregten Knechten gesattelt und herangeführt wurden. Ein Dutzend Gewappnete stiegen auf.
    »Es ist nur ein Gerücht! Dummes Gerede von Pilgern, die nichts wissen. Haltet ein!«, rief Rutgar, aber seine Warnungen gingen im Geschrei unter.
    Aus dem Lager wälzte sich ein wildes Heer; jeder, der eine Waffe besaß, einen Knüppel oder ein Messer, rannte zur Stadt, auch Frauen und selbst Kinder. Rutgar zerrte am Zügel des Pferdes, schlug ihm die Hacken in die Seiten und trieb das Tier zum Stadttor; er folgte wachsam der Menschenmasse. Er hatte nur sein Messer und den Morgenstern, um die Pilger und sich zu verteidigen.
    »Haltet ein!«, schrie er und schwenkte seine Arme. Dann hob er die Waffe wieder über seinen Kopf. Er sah betroffen

Weitere Kostenlose Bücher