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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Gewand der Männer stank nach modernden Pilzen; Ameisen krabbelten über ihre Schenkel.
    »Wenn es Gott gefällt«, antwortete Peter und hörte das auffordernde Knurren in seinem Bauch. »Und nur dann, wenn wir ohne Übermut und den Geboten Christi gehorsam bleiben. Wir alle haben schwere Schuld auf uns geladen.«
    »Uns werden alle Sünden vergeben, Herr Prediger, auf den Stufen des Heiligen Grabes«, sagte der Graf und schlug die Halsberge des Kettenhemdes zurück. »Ich glaube, dass man uns in Nisch begeistert empfangen wird.«
    Rutgar schwieg und fuhr fort, die Habseligkeiten auszupacken. Peters Blicke wanderten über unzählbar viele Körper, die erschöpft im hohen Gras lagerten, am Bach tranken und sich flüchtig wuschen, über die Feuer und die Unterstände, die Karren und die grasenden Reit- und Zugtiere. Ein Gewimmel von Menschen und Tieren füllte das Tal bis zu den Waldrändern. Die Pilger wuschen einander die Wunden aus, die ihnen in Semlin geschlagen worden waren, legten Kräuter auf und wickelten Binden. Aus allen Richtungen ertönten Axthiebe und Rufe.
    »Unsere Boten sind noch nicht zurück.« Peter hob den schlaffen Ziegenschlauch auf und nahm einen Schluck vom sauren, lauen Wein. Volkmar und Gottschalk fielen ihm ein; er wusste nicht, wo sie sich aufhielten; die Prediger, ihre Knechte und die Pilger, die sie anführten. »Wir wissen auch nicht, ob sich der Statthalter freut, wenn wir kommen.«
    »Ein wenig gastfreundliches Volk, diese Ungarn und Bulgaren«, knurrte Graf Walter. Sein Haar klebte schweißnass am Kopf. Ein paar Schritte neben ihnen schnitt ein junger Mann einem Schaf die Kehle durch und hängte das Tier in die Äste des Baums. Dann öffnete er den Bauch des Tieres und begann das Fell abzuziehen. »Sie wollen, dass wir mitten in ihrem fetten Land verhungern.«
    »Wir haben ihnen zugesichert, zu bezahlen, was wir essen - nicht zu stehlen und zu rauben.«
    Der Graf machte eine wegwerfende Geste und faltete die feuchten Handschuhe in den Schwertgürtel. Rutgar hörte schweigend zu und fuhr fort, sein Pferd zu striegeln. Das Tier leckte den Schweiß von seinem Arm.
    »Mundraub. Eine lässliche Sünde. Die Stadt jenseits von Nisch ist Sofia, nicht wahr?«
    »So ist es, Herr Graf«, antwortete Rutgar und nickte. »Ich habe die Boten gefragt und mir alles berichten lassen.«
    Peter rülpste zur Seite. Nicht weniger als hundert Feuer brannten inzwischen, unregelmäßig verteilt, auf der welligen Fläche diesseits und jenseits des Baches. Westwind trieb Funken und Rauch in schrägen Wirbeln nach Osten. »Ihr werdet für Ordnung sorgen müssen, Graf, weil ich ein paar Meilen vor dem Ende des Zuges reiten muss.«
    »Bisher hat sich keiner verirrt, Herr Prediger.«
    »Gott sei es gedankt.« Peter nickte und deutete auf friedlich grasende Rinder zwischen den Unterständen. Hinter dem Wald hob sich der Mond in den schwarzen Himmel. Zugleich mit dem Rauch oder Nebel, der sich dicht über dem Gras ausbreitete, erfüllten die Laute und Geräusche der Menschenmenge das Tal.
    Jean-Rutgar fühlte sich plötzlich aus der unüberschaubaren Zahl der Pilger ausgeschlossen. Er hatte sie an Peters Seite zwar bis hierher geführt und würde weiterhin helfen, ihren Weg zu bereiten, aber sie hingen nicht mehr an den Lippen des Eremiten, gaben wenig auf seine Bitten und Anordnungen; so schien es ihm. »Es scheint ein guter Rastplatz zu sein.«
    »Gut genug, um auszuschlafen, und mit genug frischem Wasser.« Der Graf winkte, als er die Gesichter seiner Knechte erkannte, die Männer zu sich. »Aber nur ganz weit oben im Bach. Bachabwärts gibt's nur unchristliche Jauche.«
    »Ihr solltet mit den Worten unseres Glaubens nicht leichtfertig umgehen«, sagte Peter und trank gegen das Knurren seiner Innereien einige Schlucke Wein. Kinder und Frauen führten im Licht eines nahen Feuers den Esel zu einer Stelle, an der frisches Gras wuchs. Sie streichelten und herzten das Tier, als würden sie es ebenso gläubig wie seinen Reiter verehren. Einige »Jünger« rissen ihm einzelne Haare aus der Mähne, bis das Tier auskeilte und schrie. Peter betrachtete traurig den leeren Weinschlauch und murmelte: »Vielleicht fangen wir morgen ein paar Fische. Dann fülle ich mir, mit Gottes Segen, den armen leeren Magen.«
    »Ja denn, Mann aus Amiens!« Der Ritter sah mitleidsvoll auf Peter hinab. »Wenn Ihr kein Brot und keinen Braten wollt ...«
    Peter zuckte mit den Schultern und kramte aus seinem schlaffen Vorratssack ein halb

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