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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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sind.«
    »Dafür wird gesorgt.« Ein Petschenege übersetzte stockend. Verachtungsvoll, wie es schien, ließ Niketas seine Blicke über das Lager schweifen, hörte das Plärren der Säuglinge, die Flüche ihrer Mütter und sah die zusammengebundenen Holzkreuze auf den Gräbern. Er zog den goldbestickten Ärmelsaum vor seine Nase. Bei den Schafen kläffte ein Hund. »Am nächsten Morgen, ausgeruht, satt und leise, ohne Streit und begleitet von einigen Tausend meiner Krieger, sollt ihr Nisch hinter euch lassen.«
    »Wir beschwören es!«, rief Gottfried Burel, hustete und führte sein gesatteltes Pferd näher. »Wir sind gottgläubige Ritter von Stand und Ehre.«
    »So geht mit Gottes und meinem Segen«, sagte Peter und schlug das Kreuz über sie. Breteuil und Burel beugten die Köpfe und legten grinsend die Hände aufs Herz. Burel versuchte sich an einem Spruch in Kirchenlatein. »Militat omnis amans. Wer Gott liebt, leistet willig Kriegsdienste.«
    Niketas ließ sein Pferd steigen. Drohend wirbelten die Hufe, als er das Tier auf der Hinterhand herumriss und, von seinen Reitern gefolgt, davongaloppierte. Die Ritter setzten die Stiefel in die Steigbügel, schwangen sich in die Sättel und ritten hinter den Bewaffneten des Fürsten her. Jeder wurde von zwei Knechten begleitet.
    Peter blickte ihnen unschlüssig, dann aber hoffnungsfroh lächelnd nach; dann gähnte er. Rutgar lachte leise. Die Gefahr, die er und wohl auch Peter gespürt hatten, verringerte sich mit jedem Galoppsprung der Ritter. Der Einsiedel atmete auf; langsam wandte er sich an Rutgar und seine Gefolgsleute und sagte: »Wir brechen das Lager ab. Achtet darauf, dass der Friede zwischen dem Fürst und mir nicht gestört wird.«
    »Um uns herum leben nur friedliche Bauern, Ehrwürdiger!«
    Rutgar, der dem Frieden nicht recht traute, hatte einen Teil der Beulen aus dem gefundenen Helm herausgehämmert und die Hälfte der Rundung geputzt. Sie schimmerte wie stumpfes Silber. Das Schwert, das er gefunden hatte, war von einem Schmied der Pilgerschar geschliffen und ausgedengelt worden; es war eine einfache Waffe, ohne jeden Zierrat. Sie steckte meist in seinem Mantelsack, denn er fürchtete, mit einem der Ritter gleichgesetzt zu werden.
    »Aber unter uns gibt es viele, die der Mäßigung entraten«, sagte Peter. »Und ich allein kann sie nicht zwingen, zu tun, was sie nicht tun sollen.«
    »Wir achten darauf.«
    Peter erhoffte und erwartete ein friedfertiges Nebeneinander, aber je weiter sich der vielfüßige Moloch wälzte, je mehr die Gebote und die Sittsamkeit der fernen Heimat hinter Flussfurten, Wäldern, Kornfeldern und Ebenen zurückblieben, je fremder und unverständlicher die Welt so fern der Heimat wurde, desto weniger hörte man auf Peters Befehle. Die Reisigen, jene unbändigen jungen Männer, besitzlos und in abgerissener Kleidung, die Pferde und Waffen erbeutet hatten und jetzt glaubten, sie wären dadurch zu Rittern geworden, und die verarmten Adligen scherten sich kaum um Peters Versprechen der Gewaltlosigkeit.
    Jean-Rutgar glaubte fest, die Ausnahme bleiben zu können; bisher hielt er in unverbrüchlicher Treue zu dem Einsiedel; es gab keinen Grund, diese seltsame Gefolgschaft aufzukündigen. Aber je mehr er erlebte, je mehr fremdartige Bilder er sah und zu deuten vermochte, desto mehr veränderte sich jener Gott, dessen Wort Peter aus Amiens und die Tausende vorantrieb, ohne dass er es mit einfachen Worten hätte ausdrücken können.
 
    Die ersten Stunden ihrer Haft als Geisel behagten den Grafen von Breteuil und Burel und ihren Gefolgsleuten. Sie waren innerhalb der Mauern der Zitadelle von Nisch untergebracht; auch ihre Pferde standen in gemauerten, lichtdurchfluteten Ställen. Die Grafen hatten derlei noch nie gesehen. Sie speisten unter Leuchtern mit vielen Ölflammen an leinenbedeckten Tischen, in Gesellschaft von Truppenanführern, auf glasierten Tellern, wurden von riesigen schwarzen Sklaven gebadet, geknetet und gewalkt und eingeölt und hatten genügend Zeit, die dicken Mauern und die steingedeckten Dächer zu bewundern.
    Sie erlebten das ständige Kommen und Gehen von Boten, Spähern und Spionen mit, von denen Fürst Niketas alles erfuhr, was die Pilger unternahmen. Der Abend und die Nacht im Lager verliefen ruhig; zum Heiligen Abendmahl, das Peter von Amiens zelebrierte, versammelte sich eine Menge, die so groß war, dass sie niemand mehr zu zählen vermochte. Als die Pilger ihre Lieder anstimmten, bebten die Mauern von Nisch; es

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