Jerusalem
ohne dass es Streit oder gar Kämpfe gab.
Philippopel in Thrakien, vor undenkbar ferner Zeit von dem sagenhaften König Alexander gegründet, wie man den Pilgern stolz erzählte, war im Mittelpunkt einer großen, fruchtbaren Ebene auf drei Hügeln errichtet; eine herrliche Stadt aus weißen Tempeln und grünen Zypressen, aus hohen Mauern, schlanken Türmen und schmalen Toren, voll christlicher Kirchen und großer Häuser. Noch nie hatten die Pilger in der Fremde solch prächtige Fassaden bewundern können. Erstaunt und ungläubig sahen sie die Sauberkeit und Ordnung, eine verstörende und erschreckende Reinlichkeit, für die kluge und entschlossene Beamte des fernen Kaisers unablässig sorgten.
Die Pilger schlugen ihr Lager inmitten des fruchtbaren Weidelandes auf. Dörfler und gut gekleidete Stadtbewohner näherten sich freundlich mit Wein, Salz und Brot; die Griechen ließen sich tausend Leidensgeschichten erzählen und flossen vor Mitleid über; sie schenkten den Pilgern nicht nur reichlichen Proviant, sondern Maultiere, Pferde, Zelte und klingende Münzen. Feldscher und Ärzte kümmerten sich um die Pilger, von denen viele von Krätze, schwärenden Blasen an den Sohlen, eiternden Wunden, Räude, Bluthusten und anderen Krankheiten geplagt wurden; selbst die gräflichen Ritter fanden keine Gründe, sich über mangelnde Gastfreundschaft zu beklagen.
Ein Kunstschmied setzte Rutgars angerostetes, löchriges Kettenhemd halbwegs instand, ohne Geld dafür zu verlangen, ein anderer dengelte den normannischen Helm vollends aus, der daraufhin und nach Rutgars Putzen mit Sand, Stein und saurem Wein mitsamt dem gezackten Nasenschutz wie neu geschmiedet wirkte. Das Kettenhemd, das Rutgar bis fast zu den Knien reichte, war weniger schwer, als er befürchtet hatte; er versteckte es, eingewickelt in ein ölgetränktes Tuch, im Mantelsack.
Einige Tage lang rastete die erschöpfte riesige Pilgerschar in Philippopel; dort war vor einem halben Monat, wie glaubhaft berichtet wurde, versehen mit dem Trost der Sterbesakramente, Walter Sans-Avoirs Oheim, jener schlohweißbärtige Walter »Poissy« von Poix an einer Krankheit verschieden, die man nicht erkannt hatte; die Pilger besuchten sein Grab und machten sich, den todkranken, im Fieber seine Sünden bereuenden alten Ritter Archambaud von Vendeuille auf einem holpernden Karren mitführend, auf den Weg nach Adrianopel.
Erst als eine zweite Gesandtschaft des Kaisers und einige Ritter aus Walter Sans-Avoirs Gefolgschaft vor dem Kopf des Menschenwurms ihre Pferde zügelten, erfuhren die Pilger, dass sie nur noch zwei Tagesmärsche von der Stadt trennten. Peter stöhnte, lachend in Tränen:
»Noch drei Wochen bis Konstantinopel, der glanzvollen Hauptstadt der rhomäischen Christenheit!«
Ein Reiter verlas mit hallender Stimme, allen Grafen und Rittern klar verständlich, die Botschaft des Kaisers:
»Edle, berühmte Männer! Gerüchte und schwerwiegende Beschuldigungen des widerlichsten Inhalts, gegen Euch erhoben, sind an unsere Ohren gelangt! Man sagt, dass ihr den Bewohnern Unseres Landes, Unseren Untertanen, schlimmste Gewalt angetan und Streitigkeiten und Unruhen heraufbeschworen habt.«
Peter hörte aufmerksam zu, ebenso Rutgar. Bisher gab es keinen Grund, nicht auf die Freigebigkeit des Kaisers und auf sein Wohlwollen zu vertrauen. Aber beide hatten die Gräuel mit angesehen, die eine gewissenlose Ritterschar und deren leicht zu begeisternde Anhängerschaft in Nisch begangen hatten.
»Wenn Ihr Unsere Gunst zu erringen hofft, fordern Wir kraft unseres Amtes Euch auf, Euer Heer nie länger als drei Tage an einem Ort zu versammeln und es unter der zuverlässigen und friedlichen Führung Unserer Truppen nach Konstantinopel geleiten zu lassen. Wir werden für Führer und Verpflegung zu angemessenem Entgelt sorgen!«
Zwischen Philippopel und der Stadt des Kaisers am Bosporus waren Pilger aus Italien auf Peters Zug getroffen und hatten den Eremiten gebeten, sie mitzunehmen.
Ob Walter Sans-Avoir schon lange in Konstantinopel wartete? Peter, der sich mit Rutgar beriet, wagte die Söldner nicht zu fragen. Der Basileus schien ihm alle Missetaten verziehen zu haben und glaubte, dass Peter und seine Begleiter schon durch die Entbehrungen und die Verluste an Menschen und Geld genug gestraft wären. »Welch eine huldvolle Geste«, murmelte Peter und konnte sich seiner Tränen nicht erwehren.
Er führte den Zug weiter, Tag um Tag, bis zu den ersten Dörfern vor Konstantinopel. Dort,
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