Jerusalem
Gespanne fanden sich ein, schließlich auch diejenigen Bewaffneten, die den Truppen des Fürsten entkommen waren. Peter drängte zur Eile; zum ersten Mal, gestand er Rutgar, fühlte er sich erschöpft und dachte daran, den göttlichen Auftrag aufzugeben.
Die Pilger fingen und schlachteten einige Rinder und die Schafe einer Herde, die sich verlaufen hatte, brieten das Fleisch und wagten in der Nacht nicht zu schlafen. Aber auch die Bewohner von Nisch, die noch gestern mit den Söldnern des Fürsten zusammen gegen die zuchtlosen Pilger gekämpft hatten, kümmerten sich nicht um den Rest der Menschenmenge. Als sich das Land rings um Bela Palanka in Ödnis verwandelt hatte, als wären Heuschrecken, Mäuse und Brände nacheinander darüber hinweggezogen, setzte sich Peter wieder an die Spitze und führte den vieltausendfüßigen Menschenwurm auf die Straße nach Sofia.
»Du kannst sicher sein«, rief Gottfried Burel und ritt scharf an Peters Seite heran, »dass uns die schurkischen Petschenegen mit tausend Augen beobachten.«
Er deutete auf die Wäldchen und die Hügel abseits der Straße. Peter nickte. Gott sieht alles, dachte er - so deutete Rutgar das Verhalten des Eremiten -, und die Bulgaren hatten jedes Recht, die Pilger zu beobachten. Wenn er sich umdrehte, sah er nichts anderes als einen scheinbar friedvollen Zug durch erntereifes Land. Hob er den Kopf, musste er neben Rutgar in sauberer Kleidung und tadelfreier Rüstung den bewaffneten Ritter in abgerissenen und ungewaschenen Gewändern sehen, und er wusste, wer es war, der sich gegen Gottes Gebote und seine, Peters, Befehle versündigte.
»Wenn Ihr und Euresgleichen, Herr Ritter, Euch mit den Geschenken unserer Gastgeber bescheiden wolltet, würden sie uns singend und musizierend begleiten.«
»Wir brauchen ihre unverständlich geträllerten und gestöhnten Lieder nicht.« Der Ritter lachte laut und machte geringschätzige Gesten. »Wir singen selbst, viel lauter und schrecklicher. Die Bulgaren werden uns kein zweites Mal mehr sehen. Was soll's. Gott kennt und liebt die Seinen.«
Peter senkte den Kopf, stieß ein geflüstertes Stoßgebet aus und bezwang sich. Er streichelte den Hals des Esels und betete darum, dass der Weg nach Sofia weniger beschwerlich sei, sich nicht allzu sehr dehnen und ohne Zwischenfälle bleiben möge.
Am 11. Tag des Heumonds trafen Peter und die erste Kolonne der Pilger auf die vordersten Gruppen ausgesuchter Krieger des Kaisers.
Mit knatternden Fahnen preschten Berittene in funkelnden Rüstungen und wehenden Reitermänteln auf den stämmigen Esel und seinen Reiter zu. Es waren die Abgesandten aus Konstantinopel. Einige von ihnen redeten in einer Sprache, die Peter und seine gräfliche Begleitung verstanden.
»Der Basileus hat hochwohlmögende Befehle gegeben, ehrwürdiger Eremit. Wir sollen euch allen stets genügend Verpflegung und Proviant beschaffen und dafür sorgen, dass es den Pilgern wohl ergehe.« Peter schwang sich stöhnend aus dem Sattel seines Reittiers und presste die Hand in seinen krummen Rücken. Rutgar stieg ab und stützte ihn.
»Wer ist der ... Basileus?«, sagte er.
»Der König der Römer. Der erhabene Kaiser Alexios Komnenos«, lautete die Antwort. Rutgar meinte, die unterschiedlichen Begriffe verstanden zu haben: Alexius hieß im Reich der Rhomäer Alexios, der König war der Basileus, der zugleich Kaiser war, die Griechen verstanden sich als Römer, und das Durcheinander verschiedener Sprachen würde von Tag zu Tag größer werden.
Die prunkvolle Ausrüstung der Reiter blendete ihn und verwirrte seine Empfindungen. Mit kaltem Lächeln fügte ein anderer Reiter hinzu: »Ihr dürft, so befiehlt euch Basileus Alexios, an keiner Stelle, an keinem Ort länger als drei Tage lagern. Die Bevölkerung entlang eures Weges wird euch freundlich gesinnt sein.«
»Seit wir uns versammelt haben«, rief Peter lächelnd, »wussten wir, dass uns der Kaiser mit äußerstem Wohlwollen beschenkt. Geleitet uns nach Sofia, Ihr Herren, und Ihr werdet niemals wieder solch ruhige, angenehme Gäste haben.«
»Dies zu hören wird den erhabenen Kaiser freuen.«
Auch in diesem fremden Land bewegte sich der Menschenwurm kaum langsamer als zwischen Köln und der Donau. Vierzigtausend, fünfzigtausend Schritte zwischen Morgendämmerung und Abendrot, singend und betend. Nach drei Tagen Rast wanderten sie über die nächste Grenze weiter nach Phillipopel in Griechenland, im ärmlichen Land der Bogomilen, wo sie abermals rasteten,
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