Jerusalem
hießen die Pilger willkommen, obwohl sich die Menschenmenge stumpfsinnig über Weiden und Äcker, entlang halb abgeernteter Felder und durch Gärten wälzte; jeder Weg, jede Straße war zu schmal für den vieltausendfüßigen Wurm, den Hunger, Durst, Mücken und Erschöpfung plagten. Zuerst zögerlich, dann bereitwilliger brachten die Bauern Nahrungsmittel, verkauften sie oder schenkten sie her. Die ausgemergelten Gestalten der Pilgerfamilien und die hungrigen Priester und Mönche erregten das Mitleid der Bulgaren, die freigebig Almosen austeilten. An der Morawa drehten sich große Wasserräder, und Fuhrwerke voller Kornsäcke waren zu den Mühlen unterwegs. Als sich der Zug, von Myriaden Schmeißfliegen umwimmelt, entlang des Flusses der Stadtmauer näherte, hatten Dutzende Ungarn sich zu Peter bringen lassen. Sie baten ihn, sich der Pilgerfahrt anschließen zu dürfen.
Fürst Niketas, sagte man, habe in der Stadt und in der Zitadelle ein kleines Heer zusammengezogen. Noch immer, in drängender Sorge, warte er auf kaiserliche Truppen aus Konstantinopel. Nachts berichteten ihm seine Späher vom Lager der vielen Tausenden, das vier Stunden zu Pferde entfernt war, und am Morgen, wohl noch vor Sonnenaufgang, hatte Niketas seine Rüstung angelegt und seine Garde um sich versammelt. Dann ritt er zur Mitte eines chaotisch hingelagerten Halbkreises; dort, an qualmenden Gluthaufen, so hatten die Späher herausgefunden, rasteten Peter der Eremit und die meisten seiner Ritter.
Jean-Rutgar, die Arme auf der Kruppe seines Pferdes, hob den Kopf. Er betrachtete Niketas, den kaiserlichen Vasallen, der seine Umgebung mit Erstaunen, fast mit Abscheu und ein wenig Furcht musterte. Die gewaltige, unschlüssig wogende Menschenmenge schien ihm Angst zu machen.
Verglich Rutgar Niketas und dessen Söldner mit den Rittern im Zug, glaubte er nicht nur Angehörige zweier verschiedener Völker, sondern arme, bedrückte Menschen und eine Art von Racheengeln oder Wesen aus einer anderen Welt vor sich zu sehen. Die Gesichter und das Haar der »Rhomaioi«, der Bewohner dieses reichen Landes, die sich selbst als Erben der Römer ansahen, waren glatt und sauber, die Gestalten hochgewachsen und schön wie Bildnisse, die Kleidung und jedes Stück der Ausrüstung glänzten wie neu und schienen von Meistern handwerklicher Kunst zu stammen. Aus den Blicken schien mehr Erfahrung und mehr Wissen zu glühen, als er, Rutgar, je besitzen würde.
Dieses »Kaiserreich der Römer« jenseits der Grenze des Magyarenlandes schien wirklich ein goldenes Land zu sein, und Niketas gehörte zum auserwählten Volk, das dort lebte.
Die Fäuste der Petschenegen-Söldner lagen an den Griffen der Krummschwerter. Im Morgenlicht funkelten die Spitzen der türkischen Helme, deren glänzendes Metall über den geschlungenen Wülsten der Turbane begann. Die Sehnen der armlangen Bogen waren eingehängt, in den Köchern raschelten die bunten Federn der Pfeile. Am Lagerplatz hatten sich Unruhe und leise Furcht ausgebreitet; als Peter auf die Füße kam, spürte Rutgar jene Art Stimmung, aus der mutwillige Übergriffe und gedankenlose Angriffe erwuchsen.
Peter schwankte und sagte zu Rutgar: »Noch vor wenigen Atemzügen war ich in den wollüstigen Tiefen eines Traums vom goldenen Jerusalem, von zahlreichen Weihen, die ich empfing, und wie ich zur bewunderten Wichtigkeit emporwuchs, vom Gefühl, so geehrt zu sein, dass der Papst mit mir speiste, während ich ihn beriet.«
Sein Gesicht zeigte, dass dieser Traum jäh fröstelnder Morgenwirklichkeit Platz machte. Er griff sich ans Gemächt; seine Blase war schmerzhaft prall. Er bekreuzigte sich und verbeugte sich tief vor dem Statthalter, auf den fast ehrfürchtig sein Kundschafter zeigte. Mit langsamen Schritten schob sich Rutgar wachsam in seine Nähe.
»Im Namen Gottes und des Kaisers«, sagte Niketas in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Es hat sich gezeigt, dass langes Verweilen deiner christlichen Pilgerkarawane zu großen Misshelligkeiten führt. Ihr alle sollt in der nächsten Nacht vor den Mauern von Nisch lagern dürfen - wenn ihr Geiseln stellt.«
Peter lauschte der Übersetzung und antwortete nach einem langen Blick auf Rutgar, einem zweiten auf Gottfried Burel und Walter von Breteuil, deren Knechte sich bereit machten:
»Die beiden edlen Herren haben sich bereit erklärt, Hoher Herr, in Eurer schönen Stadt zu weilen, bis wir mit Wegekundigen und Proviant versehen auf dem Weg nach Sofia
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