Jerusalem
Nachricht verbreitete sich schnell durch die Lagergassen und schreckte viele Schläfer von ihren harten Lagern. Die Pilger sammelten sich und suchten ihre Habseligkeiten zusammen, die Ritter und ihre Trossknechte sattelten mürrisch die Pferde und beluden die Karren mit ihrem Kriegsgerät. Fackeln und Feuer flammten auf und beleuchteten das Durcheinander. Quälend langsam, fast widerwillig, setzten sich stockend weitaus mehr als dreißigtausend Männer jeden Alters, Ritter, Knechte mit ihren Pferden, einige Gespanne, die Grafen hoch im Sattel, Priester, Ordensbrüder und höhergestellte Geistliche mit knurrenden Mägen, Kinder und Frauen in stolpernde Bewegung. Nach und nach schienen alle Glocken Konstantinopels und der Kirchen in sämtlichen Vorstädten zu läuten. Alle Teilnehmer beider Heere begannen den Warägern zu folgen; unausgeschlafen, gähnend und mürrisch, polternd, stoßend, stolpernd und blinzelnd. In der ersten Helligkeit des Morgens, während die Fackeln stinkend zu rauchen begannen, erreichten die Ersten den Hafen.
Peter, die Hand am Zaum des Esels, führte einige Hundert seiner Gläubigen an. Rutgars Gruppe folgte. Im ersten Tageslicht sah er die verwirrende Menge der Fähren, die sich durcheinanderschoben, kleine und große Schiffe und Galeeren, die diesseits der dicken eisernen Kette im Hafen des »Goldenen Horns« lagen oder auf der im Zwielicht scheinbar reglosen Wasserfläche des schmalen Meeresarms warteten, dessen unberechenbare Strömung allen Pilgern als todverheißende Grenze zwischen Europa und Asien geschildert worden war.
Die ineinander- und umeinanderkreiselnden Wellen schienen nur wenige Handbreit hoch zu sein. Schwarze Schlieren durchzogen die unheildräuende Bläue des Wassers. Brüllende Gardisten des Kaisers geleiteten die Pilger auf die Schiffe, die von Nikolas Maurokatakalon, dem Befehlshaber der Flotte, überwacht wurden. Das erste Boot legte ab, das nächste, das dritte, auf dem einige Pferde Platz fanden.
Die mächtige rostrote Eisenkette, die den Nebenarm absperrte, war abgesenkt. Langsam stieg vor ihnen die Sonne auf und ließ die Türme und Mauern Konstantinopels rosenrot erglühen, als die Schiffe, gerudert oder unter Segeln, nach einer Fahrt von weniger als einer Meile das jenseitige Ufer erreichten.
Während der Überfahrt auf einer schwerfälligen Galeere betete Peter trotz seines grauen Antlitzes mit seinen engsten Anhängern. Rutgar auf demselben Schiff, den Arm um den Hals seines Pferdes, begann zu lächeln, als er verstand, dass er und die Pilger unwiderruflich die Grenze zwischen Europa und Asien überschritten und sich dem Herrschaftsgebiet des muslimischen Sultans näherten, der ein unermesslich großes Heer seldschukischer Türken befehligte.
Kaum hatten die Boote und Schiffe nahe der Buchten von Chrysopolis und Chalkedon ihre Fracht geleert, stießen sie wieder ab und bewegten sich in der Strömung zurück nach Konstantinopel. Peter führte seinen Esel einen flachen Hang hinauf, blieb am Rand eines von Dornenranken umwucherten Platzes stehen und sagte zu Rutgar:
»Nun sind wir in einem anderen Teil der Welt.« Er deutete nach Osten. Der Anführer der Waräger hatte ihnen gesagt, dass für das Heer unmittelbar neben der kleinen Stadt Nikomedia, einige Tagesmärsche östlich gelegen, Platz und Proviant vorbereitet worden sei; vielleicht hielt der Basileus sein Wort. »Wir müssen Waffenmeister Archambaud ein würdiges Grab bereiten.«
Rutgar führte den Rappen zur Seite. »Dort drüben, Anbetungswürdiger, graben sie schon. Reiten wir hin.«
Die Knechte des Ritters umstanden das Grab. Peter hielt eine kurze Rede und empfahl die Seele Ritter Archambauds von Vendeuille dem Herrn. Der Leichnam, in weiße Tücher gewickelt, wurde mit Sand bedeckt, und ein kleiner Hügel aus Steinen wölbte sich bald darüber; wieder einmal steckte Peter ein Holzkreuz zwischen kopfgroße Kiesel, stieg in den Sattel und winkte. Manchmal wünschte er sich, sagte er zu Rutgar, als Zeichen seiner Führung ein solches weißes Kreuz über seinen Kopf halten zu dürfen, aber Gott verbot diese Äußerung der Hoffart. Ausgeruht und folgsam trippelte der Esel im Gras neben der breiten Sandspur; rechter Hand erstreckte sich am Fuß eines Felsabsturzes unter weißen Wolken der tiefblaue Meeresarm des heiligen Georg, von den unzähligen Spuren der Schiffe gefurcht, die zwischen den Ufern hin und her fuhren.
Einige Stunden später überholten die Panzerreiter, der Italiener Ritter
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