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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Ewiger?
 
    Erzbischof Herrmann ließ das Pergament sinken und stützte seine Ellbogen schwer auf den Tisch. Schweigend starrte er die fleckigen Schreibblätter an. Nach einer Weile sagte er, ohne Neidhart anzusehen:
    »Ob dieser Morde und Missetaten wird Gott strafen. Wir beten, dass er nicht uns straft; wir haben getan, was wir konnten. Der Aderlass unter den Juden war groß - wir können nur auf Seine Gnade hoffen, dass er unsere christlichen Heere verschont.«
    Er stand auf und verließ in düsterem Schweigen, mit langsamen Schritten, das Refektorium.

Kapitel VIII
 
A.D. 1096, 6. T AG DES E RNTEMONDS (A UGUST ), FRÜHMORGENS
K ONSTANTINOPEL , S ANKT -G EORGS -A RM , OFFENES W ASSER
 
»Wir sind in das Land gekommen, dahin ihr uns sandtet, darin Milch und Honig fließen, und das ist seine Frucht.«
(4. Mose 13,27)
 
    »Auch in einem Land, das wir nicht kennen, hilft uns das Vertrauen in Gottes Willen!«, sagte Peter der Eremit, rülpste und betrachtete mit hochgezogenen Brauen das kostbare Zaumzeug des Esels; eines der vielen unnützen Geschenke des Basileus. Er würde es eines Tages gegen Nahrungsmittel oder ein paar Fässer Wein tauschen. Die ledergebundene Bibel mit goldenen Schließen aber, in der er nur einzelne Wörter zu lesen vermochte, schlug er in sauberes Tuch ein und schob sie in die Satteltasche.
    Fünf lange Tage, nachdem »Kukupetros« - wie ihn Anna Komnena genannt hatte, der »kleine Petrus« - und seine Getreuen die zweihundert Hyperpyrone, die von Kaiser Alexios neu eingeführten Goldmünzen, und die Scheffel voller Tetarterone, Goldmünzen minderen Wertes, und kelchförmiger Trachis aus Elektron, einer mit Kupfer versetzten Gold-Silber-Legierung, in Empfang genommen hatten, ruhten sich die meisten Pilger aus.
    Fünf Tage aber waren eine zu lange Zeit für Walter Sans-Avoir, Reinhold von Breis, Gottfried Burel, Walter von Breteuil und ihresgleichen. Die Grafen und ihre Kriegsknechte, die schon seit Tagen im Norden der Stadt durch das Land streiften, überfielen einzelne Gehöfte, Dörfer und die Gutshöfe der Reichen, stahlen, was sie tragen konnten, und ritten davon. Die Waräger-Söldner kamen meist zu spät und konnten die Plünderungen nicht verhindern. Auch Pilger beteiligten sich an den Überfällen. Rutgar ritt hin und her, beobachtete schweigend alles und berichtete Peter, was er gesehen hatte.
    Die Klagen im Palast wurden lauter und zahlreicher. Kaiser Alexios, der darauf wartete, dass sich seine Flotte vollzählig versammelte, schickte seine Petschenegen und Waräger-Söldner zum Schutz der Paläste aus. Die Ritter vermieden diese Fallen und plünderten Kirchen; ein Gerücht breitete sich aus, dass sie selbst das Blei von den Dächern gestohlen, eingeschmolzen an die Basarhändler verkauft haben sollten - aber Jean-Rutgar hatte nicht einen einzigen Bleibarren gesehen. Als Peter davon erfuhr, versuchte er den zuchtlosen Teil seines Heeres zur Ordnung zu rufen. Es war vergeblich: Die Ritter gehorchten ihm nicht, weder seinen Gebeten, Vorhaltungen noch dem Versprechen ewiger Qualen in der Hölle.
    In der Nacht, in der Archambaud von Vendeuille aus Walter Sinehaberes Heerhaufen wimmernd im Fieberschlaf starb, ertönten Trompetensignale. Am Rand des Lagers der Franken tauchten Reiter mit lodernden Fackeln auf, deren blakende Flammen lange Funken- und Rauchspuren hinter sich herzogen. Es wurden der Lichter immer mehr; die Pilger erkannten, dass waffenstarrende Petschenegen die Fackeln schwenkten. Die kehligen Rufe gellten durch die Lagergassen.
    Jean-Rutgar war vorbereitet. Er und der Prediger warteten vor der Hütte. Roger, der Sohn des französischen Gesandten Dagobert, zügelte sein Pferd vor den Resten des Lagerfeuers. Er trug einen Turbanhelm, eine Art spitzen Metallkessel über einem breiten Stoffwulst. Über seine Schulter ragte der Griff des Schwertes. Er winkte Peter und Rutgar und rief: »Seine Erhabenheit, Kaiser Alexios, will, dass die Fremden sich sammeln und aufbrechen. Wir geleiten euch zu den Schiffen.«
    Zu Rutgar sagte er nicht weniger schroff:
    »Haltet euch an die Befehle des Kaisers. Ihr dürft nie länger als drei Tage an einer Stelle rasten! Ihr sollt das Land des Kaisers nicht verwüsten! Für euch wird gesorgt werden - bei Sonnenaufgang sollt ihr auf dem Weg zum Hafen sein.«
    Rutgar nickte. Dem verschlafenen Gesicht des Predigers war nicht anzumerken, ob er glücklich darüber war, seinen Pilgerzug wieder auf den Weg nach Jerusalem führen zu dürfen.
 
    Die

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