Jerusalem
Kapitän Elekteus, und sagt ihm, er soll zum Kaiser gehen und ihn auffordern, mehr Krieger zu schicken. Sie müssen dem Plündern und Morden Einhalt gebieten!«
Der Blick des Kapitäns glitt über das Tauwerk, huschte die Masten entlang und verkroch sich in den Falten der Stützsegel; schließlich schenkte er nach und sagte, mit flacherer, böserer Stimme als zuvor: »Ich sage dir, Ritterlein, was der Basileus - der Herr möge ihm und seinem Töchterlein Anna unbeschwertes Leben gönnen - und der Befehlshaber unserer Schiffe, Maurokatakalon, denken. Was Alexios deinem Peter sagen wird. Worauf er hofft, wenn ihn nachts üble Träume plagen.«
Sie warteten, bis das wütende Schreien und Jammern der hungrigen Möwen erträglicher für ihre Ohren geworden war.
»Sagt es mir, Kapitän!«
»Er denkt an Nikaia, wo der große Konstantinus vor Urzeiten ein Konzil hat abhalten lassen. Eine uneinnehmbare Stadt mit den höchsten Mauern und zweihundertvierzig Türmen. Und doch hat Sultan Kilidsch Arslan, der Unverwüstliche, sie erobert. Bald, so denkt der Basileus, ist des Sultans Geduld erschöpft und dahin. Dann wird er seine Türkenheere, zahlreich wie Fischschuppen«, er zeigte auf die Fischer, deren Boote mit schlaffen Segeln davontrieben, »gegen euch schicken. Eine Woche später bleichen eure Knochen in einer Schlucht irgendwo in den Bergen. Die Säuglinge: zertreten unter Pferdehufen. Die Knaben: verschnitten und Beute seldschukischer Schändung, ebenso die Mädchen. Die Alten und Kranken: totgeschlagen. Die Frauen: Sklavinnen beim Teppichknüpfen. Und all das Geraubte kehrt im Kreislauf der Dinge zurück, woher es kam: zu den Beraubten. Das denkt der Basileus: Ihr werdet Nikaia nie erreichen. Er hat recht. Wäre ich er, ich würde nicht anders denken.«
»Ich wehre mich, wenn ich angegriffen werde. Aber ich bin kein Mann von Gewalt«, sagte Rutgar leise und dachte an Berengers Worte. »Peter auch nicht. Man mag über ihn sagen, was man will, aber er ist ein aufrichtiger Mann. Gott hat ihn mit gläubiger Einfalt geschlagen; er will und hat keine Macht, versteht sich als Gefäß voller Gottesworte, will nichts anderes, als mit seinen bedauernswerten Pilgern in der Grabeskirche zu Jerusalem zu beten.«
»Ich glaube Euch, Herr Kukupetros-Ritter«, sagte der Kapitän, zwirbelte Löckchen in seinen Bart und blickte in die Kielspur des letzten Fischerbootes, das mit Westwind in die Richtung des Sankt-Georgs-Arms davonsegelte, verfolgt von einem Schwarm rotäugiger Möwen. »Ich werde die Botschaft weitergeben. Erwartet nichts, denn es wird keine Hilfe kommen, es sei denn, Euer päpstliches Heer ist am Goldenen Horn. Und zu Euch, edler Ritter: Bringt Euer feines Pferd an Bord und kommt mit mir nach Konstantinopel.« Er leerte den Becher. »Nur so werdet Ihr überleben.«
Hundert Herzschläge lang dachte Rutgar über das Gesagte und dessen Bedeutung nach, nippte am warm gewordenen, süßen Rotwein und lauschte auf das unirdische Rumpeln und Poltern aus dem Schiffsbauch.
»Ich kenne inzwischen fünf Dutzend vorzüglicher Verstecke«, sagte er und suchte den forschenden Blick des Kapitäns. »Ich werde schon mit dem Leben davonkommen, wenn der Sultan angreift. Wie lange dauert es, bis Eure Schiffe vom Goldenen Horn bis hierher segeln oder gerudert werden?«
»Bekomme ich im Morgengrauen einen klaren Befehl, bin ich vor Sonnenaufgang hier - am folgenden Tag. Spätestens.«
»Gut, dies zu wissen, Herr Elekteus. Es geht um die Unschuldigen.«
Der Kapitän nickte. »Schon verstanden, junger Ritter«, sagte er.
Elekteus winkte abermals und ließ die Becher füllen. Er stand auf und zog Rutgar nach Steuerbord. Sie blickten in den leeren Hafen hinunter. Nur vier oder fünf Möwen schwammen in den Wellen. Der Rappe wartete geduldig am Ufer und rupfte Blätter von einem Strauch.
»Gott oder die Götter, das Schicksal, das Paradies oder die ewige Verdammnis im satanischen Feuer - alles droht uns armen Menschlein. Wer möchte es uns verübeln, wenn wir uns wehren? Wir sind trotzdem klein wie Ameisen unter der Sohle Eures teuren Stiefels.«
»Die Sohle ist dünn und löchrig geworden, Kapitän«, sagte Rutgar grinsend. »Ihr erlaubt, dass ich von Bord gehe?«
Der Kapitän schlug Rutgar auf die Schulter und stieß ein meckerndes Gelächter aus. »Denkt daran: Je näher Eure Raubritter an Nikaia gelangen, desto baldiger wird ihr Ende kommen.«
»Ich denke daran. Meinen Dank für alles, Kapitän Elekteus. Wann legt Ihr
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