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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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näher.
    Er trabte zwischen reglosen Gestalten, Pferden und Männerkörpern, die auf der Fläche verstreut lagen, auf den Körper zu, der sich schwach bewegte. Ein Zug am Zügel, ein Schenkeldruck; der Rappe drehte sich einmal im Kreis. Ein Teil der Aasfliegen schwirrte mit zornigem Geräusch in die Höhe.
    »Sie sind alle totgeschlagen worden«, flüsterte Rutgar, ließ den Schild los und sprang aus dem Sattel. Um die Kreuzung herum lagen tote Pferde und tote Krieger. Das Blut aus den tiefen Wunden war versickert und längst getrocknet. Er trat hinüber zu dem zuckenden Pferd, dessen Haut an mehreren Stellen von den Geierschnäbeln aufgerissen war. Mit einem schnellen Stich des Schwertes tötete Rutgar das Tier und wich dem letzten Zucken der Läufe aus.
    Er bewegte sich schnell von einem Toten zum anderen. Ihm fiel auf, dass die getöteten Pferde keine Sättel und kaum eines mehr Zaumzeug trug. Auch die Männer waren ausgeplündert worden; ihre Waffen fehlten. Er zählte rasch. Siebzehn tote türkische Reiter oder Späher. Dann hörte er ein leises Geräusch, wie das Schluchzen eines Kindes.
    Das leise Wimmern kam aus Rutgars Rücken; zwischen zwei Felsbrocken fand er einen Mann, der sich dorthin verkrochen hatte. Es war ein Seldschuke. Rutgar sprang zu seinem Pferd, knüpfte den Wasserschlauch ab und hastete zu dem Verwundeten zurück. Er kniete neben dem Oberkörper des Fremden nieder und versuchte, ihm gemischten Wein einzuflößen.
    »Ihr seid auf die Ritter gestoßen? Oder seid ihr überfallen worden?«, sagte er leise. »Wer war es?«
    Der Stoff des silberbestickten Hemdes und der Beinkleider klebte im trocknenden Blut tiefer Wunden. Mühsam schluckte der Sterbende, der Blick seiner Augen klärte sich ein wenig. Er starrte Rutgar an, suchte in dessen Gesicht nach Milde oder Hass und hustete. Blut und Wasser spritzten Rutgar entgegen.
    »Die Franken. Deine Leute.«
    Rutgar schob den Arm unter den Nacken des Sterbenden und fühlte, wie der Seldschuke zitterte. Blut war im verklebten Schnurrbart geronnen, aus den Mundwinkeln liefen Blut und dünnes Wein-Wasser-Gemisch. Mit einem qualvoll langen, rasselnden Geräusch holte der Fremde Luft und atmete aus. Rutgar schlug der faulige Odem des Todes entgegen.
    »Meine Leute brandschatzen die Dörfer und berauben andere Christen«, sagte Rutgar und hoffte, der andere würde jedes Wort verstehen. »Du und deine Männer - ihr kommt aus Nikaia? Von Sultan Kilidsch?«
    Mit den Augenlidern gab der Sterbende ein Zeichen. Ja, aus Nikaia. Dann hob er Rutgar die zitternde rechte Hand entgegen. Er flüsterte: »Sie sind so viele. Wir haben uns gewehrt, aber ... sie sind auf dem Weg nach Nikaia ... vorbei an Drakon. Danke, Fremder ... Nimm. Der Ring ...«
    Rutgar nickte schwer. Drakon - das war der Name einer Siedlung, den er einmal aus dem Kreis der Raubritter gehört hatte.
    »Ich kann es nicht verhindern«, sagte Rutgar und hob das Mundstück des Schlauchs an die Lippen des Sterbenden. »Die Franken sind im Blutrausch.«
    »Allah ...« Der Seldschuke trank, zuckte zusammen, hauchte zitternd den letzten Atemzug in Rutgars Gesicht und streckte sich. Der Blick richtete sich starr in den Himmel. Rutgar ließ den Kopf des Toten nach hinten sinken und verschloss den Wassersack, ehe er sich halb aufrichtete und die Lider des Fremden hinunterdrückte.
    »Geh in Frieden«, murmelte er und fühlte, wie sich die Finger des Toten in seiner Hand verkrampften. Vorsichtig, als bereite die Bewegung dem Toten Schmerzen, drehte er den schweren Ring vom blutigen Finger und steckte ihn in seine Gürteltasche.
    Warum dieses Geschenk des Sterbenden? Hatte der Ring eine bestimmte Bedeutung? Er säuberte das Schwert, schob es in die Scheide und befestigte den Trinkschlauch. Über dem Wegekreuz kreisten die hungrigen Geier, auf dem Sand bildete sich eine Straße schwarzer Ameisen; Rutgar dachte an das Pilgerheer und nahm den Zügel auf.
    »Wohin?« Seine Stimme klang unnatürlich laut. Er zog sich in den Sattel und ritt, halb unschlüssig, zurück nach Norden, in den Schatten. Dort hielt er den Rappen an, stützte sich mit beiden Händen auf den Sattelknauf und dachte nach. Eine Horde Männer unter Gottfried Burel - sie waren jetzt vielleicht schon, wenn sie sich nicht lange mit dem Brandschatzen aufgehalten hatten, in Sichtweite der Mauern Nikaias am Westufer des Askanischen Sees. Dreißig Meilen entfernt von Civetot. Sobald die Deutschen die Beute der Burel'schen Horden sahen, würden sie unter

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