Jerusalem
ersten Mal sah er das strahlende Blau von Berengers Augen. »Und mit Mühe bin ich einem Dutzend türkischer Lanzenreiter entkommen.«
»Sie wissen also, dass wir in ihrem Land sind.« Mit einem Holzstäbchen stocherte er eine Zecke aus dem Fell des Pferdes. »Bald wird's auch ihr Sultan wissen. Das bedeutet Kampf, Berenger.«
»So ist es. Als Festung taugt Civetot nicht viel.« Berenger deutete auf die Rauchsäulen, die in der Ferne vom Lager in den Abendhimmel stiegen.
»Und unsere Pilger sind schlechte Verteidiger.«
Sie nickten einander zu und fuhren schweigend damit fort, die Tiere zu versorgen. Nebeneinander führten sie die Pferde zum Strand, leerten die ledernen Eimer mit Quellwasser über die Köpfe der Pferde, rieben sie trocken und entließen sie auf die Weide. Berenger setzte sich auf das halb auseinandergebrochene Fischerboot, auf dem beide Sättel trockneten.
»Es gibt keine Nachricht von dem Heer, auf das du wartest, Rutgar«, sagte Berenger. »Und es ist weit nach Antiochia. Und viel weiter bis nach Jerusalem.«
Er trocknete seine Brust und die Arme und wedelte das Lederhemd, um die Feuchtigkeit daraus zu vertreiben. Rutgars Leibtuch war nass und schmutzig, nachdem er seine Beine damit abgerieben hatte. Er träufelte Öl in die Handfläche und rieb es in die Haut.
»Es ist seltsam«, sagte er leise. »Die Raubgrafen und ihr Gesinde tun, als fürchteten sie weder das weglose Land noch die Türken, noch den Tod. Sie kämpfen wie der Satan; ich hab's ein paarmal miterlebt. Aber ungefähr zwanzigtausend Pilger haben sich selbst in Civetot eingesperrt und verhungern, wenn der Kaiser kein Essen schickt. Ob sie je ihr Ziel erreichen ... ich vermag's nicht zu glauben.«
»Und du? Welches Ziel hast du im Blick?« Berenger entschied sich, ein dünnes Wollwams anzuziehen. »Jerusalem?«
»In Köln wusste ich es«, antwortete Rutgar. »Jetzt bin ich klüger, aber ratlos. Alles, was mich reicher macht und mich nicht umbringt an Leib und Seele, das will ich haben. Wenigstens etwas von allem.« Er lachte unwillig. »Kein Königreich hier in der Fremde. Ein gutes Auskommen in der Provençe, irgendwann.«
»Normandie, Provençe - dahin sind's ein paar Tausend Meilen. Ob wir jemals dorthin zurückkommen?«
»Man wird sehen«, sagte Rutgar. »Niemand kennt sein Schicksal. Gott antwortet nicht. Deuten wir seine Zeichen richtig? Oft beneide ich den Eremiten um seinen unerschütterlichen Glauben.«
»Wenn Peter zurückkommt, dann mit dem großen Heer des Papstes. Oder gar nicht mehr.« Berenger stieg in die Hose und schloss die Gürtelschnalle. »Eines ist gewiss: Wenn Sultan Arslan ergrimmt, seid ihr alle verloren.«
Rutgar nickte langsam und wägte seine Wort ab, während die Männer die Sättel in den Schatten eines Baumes schleppten. »Um seinem Grimm zu entfliehen, reite ich durchs Land. In Les-Baux hat mich auch keiner gefunden, wenn ich es nicht wollte. Ich werde notfalls auch einen Fischer finden, der mich nach Konstantinopel übersetzt.«
»Wenn Hauptmann Roger oder der Basileus selbst keine anderen Befehle haben, werde ich nach dir suchen, Rutgar.« Berenger nickte. »Trotzdem rate ich dir: Wage nicht zu viel. Bald wimmelt es hier von Türken.«
»Danke für deinen Rat«, antwortete Rutgar und holte sein Essen, das in Tücher eingeschlagen war, aus dem Sack. »Die Pilger brauchen mich nicht, mit den Räubern reite ich nicht mehr, und ich will mich nicht langweilen. Ein Stück Käse?«
»Ja, danke. Es liegt bei dir, was du tust.«
Berenger mischte frisches Wasser in den Wein, schüttelte den Krug und nahm einen Schluck. Dann hielt er den Tonkrug Rutgar hin und nickte auffordernd.
Berenger teilte sein Wissen mit Rutgar: Viele unbekannte Pfade führten zu winzigen Orten, Weilern und Dörfchen, deren Namen keiner kannte. Wie groß war das Land der Heiden? Stieß es weiter im Süden an ein anderes Meer? Und wo verbargen sich die Seldschuken, vor deren Kampfeskraft die Pilger so oft gewarnt worden waren? Noch schienen die Truppen des Sultans, bis auf Späherreiter, sich in Nikaia und im Land südlich der Stadt aufzuhalten. Milch und Honig, so viel stand für Rutgar fest, flossen andernorts; nicht hier. Das Tor zu fremden Ländern, dessen Bild er im Herzen trug, hatte ihn bisher nur zu Dornenranken, Felsen, grausamer Hitze und noch grausamerer Notzucht und Brandschatzung geführt.
Rutgar wusste selbst nicht genau, warum er die Umgebung der Festung Civetot durchstreifte. Nicht nur deshalb, weil ihn
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