Jerusalem
Ritter Rainalds Anführerschaft aufbrechen. Fünftausend, sechstausend Männer. Oder weniger? Genug indessen, um die Bewohner dieses Landes das Fürchten zu lehren.
Das bedeutete Kämpfe und Krieg gegen die Seldschuken. Kämpfe? Der Hass der Seldschuken und der christlichen Bewohner Nikaias würde sich in einem tödlichen Gewitter entladen, und da die Pilger fremd in diesem Land waren, kannten sie nicht einmal die Wege, auf denen sie fliehen konnten.
»Das soll nicht für mich gelten«, murmelte Rutgar zu sich selbst und setzte die Sporen so leicht ein, als wolle er die Flanken des Rappen streicheln.
In schnellem Trab ritt er auf seinen Spuren Richtung Civetot zurück. Mit jedem Atemzug fühlte er sich leichter und besser. »Aber ... wohin sollen wir flüchten? Ich und die vielen Pilger, die an den Beutezügen unschuldig sind?«
Er hob den Zügel und lenkte den Rappen einen steinigen Hang zum Bach hinunter, der sich durch das baumumstandene Tal schlängelte. In der Mitte eines breiten Bettes aus Sand und Kies plätscherte der Wasserlauf, drei Ellen breit. Als der Rappe den Kopf senkte, sah Rutgar rechts von sich die uralte Brücke. Der Bogen war unversehrt, aber aus den Seiten waren Blöcke herausgebrochen, über deren bemooste Flanken das Wasser lief. Aus den Fugen wuchsen Sträucher. Die Gebissstange klirrte gegen einen Kiesel, und gleichzeitig hörte Rutgar Hufgetrappel und Schreie in der fremden Sprache. Er zuckte zusammen, zog am Zügel und duckte sich. Der Lärm kam von dem Pfad, auf dem er eben noch geritten war.
»Türkische Reiter!«, flüsterte er und lenkte den Rappen im Bachwasser zur Brücke. Die Hufe versanken im Sand, manchmal schlug Eisen an einen Stein. Rutgar drehte sich und blickte zu der Lücke im Gebüsch, durch die er heruntergeritten war. Dort, im hellen Sonnenlicht, preschte eine Reihe Reiter vorbei; ihre Waffen blitzten und klirrten.
Rutgar duckte sich in den Schatten unter dem Brückenbogen. Der Hufschlag wurde lauter, die Reiter kamen näher. Rutgar hatte auf seinen Ritten oft die Ruinen kleiner Türme, Mauerreste und Teile von gepflasterten Straßen gesehen. Er war überzeugt, dass das Land vor langer Zeit von viel mehr Menschen bewohnt gewesen war. Deren Städte hatten viele Straßen und Brücken miteinander verbunden, die jetzt bedeutungslos geworden waren. Nicht aber dieser Pfad und diese Brücke.
Er hielt den Atem an und spürte das Pochen seines Herzschlags. Der erste Reiter erreichte die Brücke, das Geräusch der Hufe änderte sich. Aus den Fugen rieselte körniger Gesteinsstaub in Rutgars Nacken. Er streichelte den Hals des Rappen und hoffte, dass er nicht scheute oder wieherte. Nacheinander ritten die Türken im Schritt über die Brücke und riefen sich auffordernd klingende Wörter zu. Die Pferde wieherten, das Klirren der Waffen und die Rufe wurden leiser; Rutgar glaubte, ein Dutzend Reiter gezählt zu haben. Er wartete, bis das Hufgetrappel nicht mehr zu hören war, und drängte den Rappen rückwärts unter der Brücke hervor.
»Die Türken«, murmelte er, »sie haben die Pilger in Civetot entdeckt.«
Die heruntergekommene alte Festung war weniger als eine Stunde entfernt, wenn er auf der breiten Straße ritt. Er stieg ab und legte, einer dunklen Ahnung folgend, das Kettenhemd an und zog dessen Kopfteil bis in die Stirn. Rutgar ritt einige Hundert Schritte langsam im Bachbett und folgte dem Lauf des Wassers, ließ den Rappen den Hang hinaufklettern und beschloss, auf den größten möglichen Umwegen in das Lager zurückzureiten, in den fragwürdigen Schutz der Palisaden.
Im Trab folgte er einem Pfad, den er schon einige Male geritten war. Als er um einen dreimal mannshohen Felsen bog, an dessen Flanken rankenüberwucherte Mauerreste zerfielen, sah er an der Gabelung drei türkische Reiter. Sie waren nicht weiter als einen Bogenschuss entfernt und sahen ihn in demselben Augenblick wie er sie. Er stieß einen Fluch aus, zog das Schwert und hob den Schild. Ihm war nicht bewusst, dass er in seiner Muttersprache geflucht hatte, im Languedoc.
Die Türken stießen trillernde Schreie und scharfe Rufe aus und ritten an. Rutgar wusste binnen weniger Herzschläge, wie er zu kämpfen hatte. Zwei der braunhäutigen Krieger hatten die Krummschwerter gezogen, der dritte zog einen Pfeil aus dem Rückenköcher, als Rutgar sein Pferd spornte und auf die Türken zugaloppierte. Mit jedem Sprung wurde sein Rappe schneller. Rutgar stemmte die Füße in die Steigbügel und duckte sich
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