Jerusalem
Langeweile plagte. Er fand verschwiegene Buchten am Meeresarm, in denen er schwamm und das reinigende Salzwasser genoss. Die Wälder waren voller Wild, das so scheu war, dass Rutgar die Tiere nur hörte, aber kaum jemals sah. Bäume und Büsche beherbergten unzählige Vögel. Nach vielen Stunden geduldigen Reitens kam er in die Helligkeit des Tages zurück, zuletzt am Rand eines Pfades, auf dem einige Hundert Normannen und Franken johlend an ihm vorbeigaloppierten. Der Ausdruck ihrer Gesichter erschreckte ihn. So hatten die Raubritter wohl gelacht, als sie die Juden in Mainz, Speyer und Prag gejagt und totgeschlagen hatten.
Er zügelte den Rappen und wartete, halb verborgen zwischen Baumstämmen und Gebüsch. Niemand beachtete ihn. Sie hatten also wieder mit Raub, Mord und Schändung unter ihren eigenen Glaubensbrüdern gewütet, dachte Rutgar, und jedes Wort Peters des Eremiten darüber, was geschehen würde, wenn er ihnen nicht Einhalt gebot, war auf furchtbare Weise richtig gewesen. Der Menschenhaufe war in zwei Teile zerfallen, in Pilger und Raubritter; wenn sich der Seldschuken-Sultan entschloss, dem Treiben Einhalt zu gebieten, würden Unschuldige für die Schuldigen leiden.
»Ich werde an diesem Tag hoffentlich weit genug davongeritten sein«, murmelte Rutgar. »Was könnte ich gegen ein Dutzend Fürsten ausrichten?«
Er sah den Reitern nach und wartete, bis ihr Johlen und das Hufgetrappel verklungen waren.
»Festina lente!«, sagte er und kitzelte das Tier mit den Sporen. »Eile mit Weile. Aber weile nicht zu sehr, Jean-Rutgar.«
Er trabte durch den Staub, den der wilde Haufe des Grafen Rolf von Brandis aufgewirbelt hatte, zum südlichen Palisadentor, durch die Menschenmenge in der Festung und den Hang hinunter zum winzigen Hafen. Auf Rosten über der Glut und auf Stöcken aufgespießt rauchten und brieten Fische und stank das Holz. Am Steg lagen eine Galeere und sieben Fischerboote; die Fischer hatten ihren Fang an die Pilger verkauft.
Nächtlicher Sturm hatte die schmale Meereszunge aufgewühlt; Wellen und Dünung schüttelten, hoben und senkten das große Schiff, das vor Anker und an den Festmacherbohlen lag. Rutgar fühlte die bebenden Planken unter seinen Sohlen und wurde an die Strudel der Rhône erinnert. Kapitän Elekteus lehnte an der Bordwand und blickte prüfend zu den Haltetauen und den knarrenden Fendern hinunter.
»Euer Gesicht, Herr Ritter, ist wie drei Nächte Nordsturm. Wollt Ihr mich vor Sturzseen, Meeresungeheuern oder verderblichem Schiffbruch warnen?«
Rutgar schüttelte den Kopf und setzte sich auf eine mächtige Truhe, deren Oberfläche wie Glas poliert war.
»Ihr befehligt ein schönes Schiff, Herr Kapitän«, sagte er ruhig. »Von diesen drei Übeln weiß ich nichts. Ich bin kein Ritter, nur der Vertraute des Kukupetros. Ich bitte Euch, eine Botschaft in Konstantinopel auszurichten. Es geht um die Ungeheuer, die in den Menschen hausen wie ... wie ein Incubus.«
»Eine Botschaft über Ungeheuer, Ritter ...«
»Rutgar von Les-Baux. Diener und Beschützer von Peter Venerabilis, dem mönchischen Einsiedel, der jetzt am Hof des Basileus lebt und Salzfisch für uns Pilger erbettelt.«
»Ihr macht mich neugierig.« Der Kapitän grinste zustimmend. »Einen Becher Wein, wenn's gefällt?«
»Einen leichten, bitte. Der Tag ist noch lang, Herr der Wogen.«
Kapitän Elekteus winkte lachend einem jungen Seemann und machte unmissverständliche Gesten. Zwei Fischerboote legten vom Steg ab; das Wasser um sie herum war von Fischabfällen übersät. Kreischend stritten sich Möwen um die schwimmende Festtafel. Rutgar glich die Bewegungen seines Körpers denen des Schiffes an und begann sich wohlzufühlen wie auf einem schwerbeladenen Rhôneschiff. Nach dem ersten Schluck kühlen, hellroten Weins aus einem Tonbecher begann er zu berichten, was er erlebt hatte. In maßvollem Schweigen hörte der Kapitän zu, wühlte in seinem kurzen weißen Bart, und je länger Rutgar berichtete, desto finsterer wurde Elekteus' Miene.
»Ein Haufe von tausend Reitern«, wiederholte Elekteus heiser. »Schändung, Mord, Plünderei. Es ist Euch nicht möglich, diese Horde Halsabschneider im Zaum zu halten?«
Rutgar stellte den Becher ab, breitete die Arme aus und richtete den Blick zum Himmel. »Wie denn? Sollen die Greise und die Frauen, die ihre Säuglinge schleppen, ihnen die Schwerter aus der Hand winden? Peter der Eremit hat sie hundertmal beschworen, hat inbrünstig gebettelt und gebetet - sucht ihn,
Weitere Kostenlose Bücher