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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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ab?«
    »Wenn Ihr an Land seid.« Sie packten einander mit harten Griffen an den Handgelenken und schüttelten sie. »Seid vorsichtig. Seht Euch um. Wenn erst einmal der Kiel eines Schiffes Sprünge zeigt, brechen bald Spanten und Planken.«
    »Ich werde Eure Warnung gebührend lange begrübeln«, sagte Rutgar und ließ sich hinunter zum Steg begleiten, an dessen Ende Berenger stand und ihm unbewegten Gesichts entgegenblickte. Der Kapitän rief Rutgar hinterher: »Seid versichert: Der Basileus wird morgen oder einen Tag später erfahren, was Ihr mir berichtet habt!«
    »Dann wünsche ich Euch guten Wind«, antwortete Rutgar.
    Er saß auf und ritt zum Hufschmied, der das Horn der Pferdehufe beschnitt und die vier neuen heißen Eisen mit kurzen Nägeln befestigte. Eine Stunde später sah Rutgar weit draußen auf dem Meeresarm die geschwollenen bräunlichen Segel der Galeere; das Schiff entfernte sich mit schäumender Bugwelle, die aufblitzenden Riemen bewegten sich im Takt wie die Glieder eines Tausendfüßlers.
 
    Rutgar klackte mit der Zunge und hielt das Pferd an, als die Vorderhufe auf den Steinen der Brücke polterten. Er beugte sich weit aus dem Sattel, grinste und schüttelte den Kopf. Er lenkte den Rappen rückwärts, vom Anfang der uralten Brücke und schräg in die Kiesel des Bachbetts hinunter.
    Noch immer war Rutgar allein auf dem Weg, der sich in Schlangenlinien abseits derjenigen Straßen versteckte, die den Franken bekannt waren. Von Nikomedia nach Nikaia gab es eine ausgebaute Straße; aber er, der einsame Reiter, hatte Wildpfade gefunden, die nicht miteinander zusammenhingen und durch verwuchertes Eichengestrüpp zu Quellen und Schlammsuhlen führten.
    An diesem Vormittag, mehr als zwei Tage nach dem Gespräch mit dem Kapitän, hatte sich Rutgar mit seinem Pferd und gefüllten Satteltaschen, das Kettenhemd mit Riemen verschnürt vor sich im Sattel, ungesehen bis auf drei Meilen Nikaia genähert. Er war an neun Dörfern vorbeigeritten, die unverkennbare Spuren der Plünderung und Brandschatzung trugen - geplündert und gebrandschatzt von gräflichen Panzerrittern.
    Der zweite Tag des Herbstmonds war drei, vier Stunden alt. Rutgar, der sich geradezu ängstlich nur in der Deckung und versteckt nach Süden gewagt hatte, war nahe daran, die fränkischen Fürsten und deren Wagemut zu bewundern. Obwohl sie das Land nicht kannten, ritten sie mit schier untrüglicher Sicherheit zu den Plätzen, an denen sich ein Überfall lohnte. Die Franzosen waren die Rücksichtslosesten. Die Spuren, die Rutgar fand, stammten von Gottfried Burel und seinen Anhängern. Ritter Rainald mit seinen deutschen und italienischen Rittern schien im Wettstreit mit Gottfried Burels Rotte jene Ziele gefunden zu haben, die zu berauben lustvoller und beuteträchtiger war.
    Rutgar lenkte den Rappen mit losem Zügel auf dem fast unkenntlichen Pfad zur Furt durch den Bach, der wenig Wasser führte. Als er am dritten Bogen der Brücke vorbeiritt, fielen kleine Splitter und weißer Staub zwischen den Steinen heraus in die sprudelnden Wellen. Der Wallach kletterte mit einiger Anstrengung den gegenüberliegenden Hang hinauf und auf dem Weg in kühle Schatten hinein. Hinter den Bäumen wieherte ein Pferd.
    Rutgar zuckte zusammen, aber sein Rappe wieherte nicht zurück. Mit angespannten Sinnen lauschte Rutgar, ritt langsam weiter und zog mit der Rechten das Schwert über die Schulter. Die Straße am Boden der Schlucht lag im Halbdunkel, folgte den Windungen des Bächleins und war feucht vom Tau. Die Huftritte waren kaum zu hören.
    Je mehr er sich der schmalen Sandstraße näherte, desto heller wurde es um ihn herum. Wieder wieherte das Tier; es war ein Schmerzenslaut. Dann hörte Rutgar das Stöhnen eines Menschen und ritt durch den Bewuchs neben dem harten Sand des Weges. Ein Dutzend Geier begann krächzend und flügelschlagend in alle Richtungen aufzufliegen; Staub sprühte aus dem Gefieder. Der Hufschlag wurde leiser, fast unhörbar. Statt alter Bäume säumten bald nur Büsche, von stacheligen Ranken umschnürt, den Weg neben der Furt.
    Einen Bogenschuss voraus sah Rutgar eine Wegkreuzung. Er hielt das Pferd an und lauschte wieder, hörte Fliegenschwärme summen und versuchte etwas zu erkennen. Er sah hinter einem Felsblock nur einen Pferdelauf, dessen Huf zuckend den Sand aufscharrte. Nach einigen Schritten weitete sich eine lang gezogene Lichtung; sie war vor kurzer Zeit Schauplatz eines Kampfes gewesen. Mit gespannten Sinnen ritt Rutgar

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