Jerusalem
reizen. Ich bin nicht der Mann, der euch beraten will, aber seid gewarnt, Herr Graf.«
»Wir halten stand, bis die Heere Gottfrieds von Niederlothringen übersetzen«, erwiderte der Graf von Breis mit sichtlichem Unwillen. »Dennoch: Wir danken für die Warnung.«
»Ich tat's für Peters Pilger und für Eure Sicherheit.«
Rutgar verbeugte sich abermals und führte sein Pferd zur Tränke. Er glaubte nicht daran, dass seine Warnung die Ritter von weiteren Plünderungen abhielt; da sie keinen Widerstand spürten und nicht an die Überlegenheit der Türken glaubten, blieben sie starrsinnig und beutegierig.
Zwei Tage lang fand Rutgar, obwohl er Berenger suchte, seinen Lebensretter nicht. Inzwischen hatte er sich zu einem Pilger durchgefragt, der sich auf Schmuck, edle Steine und Gold verstand: die Glieder der Kette des Türken, erklärte der Greis, hatte ein Meister geschmiedet, der schwerlich sein Geschäft nördlich der Donau betrieb, sondern vielleicht in Konstantinopel. Den Ring hatte Rutgar von Blut und Schmutz befreit. Er war aus weißem Gold, fast zwei Finger breit, und auf einem viereckigen Feld sah man Linien und Wirbel, die fremde Schriftzeichen sein mochten, einen Turm, einen Löwenkopf und ein Krummschwert, das schräg über die Fläche graviert war und Zeichen und Bilder durchschnitt. Der Versuch, die Zeichen zu entziffern, machte alle ratlos, die Rutgar fragte. Dank Ragenarda wusste er, dass die Schrift muslimisch war - nicht mehr.
Er zögerte, ob er den Ring und die Kette um seinen Hals tragen sollte, entschied sich aber, sie in den Tiefen der Fächer seines Münzengurtes zu verstecken.
Am 16. Tag des Herbstmonds zügelte die Vorhut des fränkischen Heeresteils die schweißnassen Pferde an der Stelle, wo der Weg den Wald verließ. Hinter den gepanzerten Rittern drängten sich die Haufen der Fußkämpfer. Eine große, flache Senke breitete sich vor den Augen der Reiter aus. Die Sonne des frühen Nachmittags leuchtete auf Felder, Weiden und kleine Siedlungen und, drei oder vier Stunden scharfen Ritts entfernt, auf den Mauern der Stadt Nikaia. Sie lagerte sich hinter Wäldchen und einem Taleinschnitt vor den Wolken am Horizont, die sich im See vor der Stadt spiegelten. Gottfried Burel wies mit der Spitze des Schwertes auf die strahlenden Flächen und den Askanischen See, der sich im Westen der Stadt erstreckte und in dem sich auch ein Teil der Mauern spiegelte, ebenso wie in dem breiten Graben, der das Wasser des Sees um einen Teil der Stadt herum leitete. Ein Fluss entsprang dem See und mündete ungefähr zehn Meilen weiter in einer felsigen Bucht des Meeres.
»Da! Jetzt kennen wir den Weg nach Nikaia!«, brüllte er. Sein Gesicht war schweißüberströmt und hochrot. »Zweihundertvierzig Türme stehen in der Mauer!«
»Das sagt man«, meinte Fulk von Orléans lachend, »und ob wir sie umwerfen können, werden wir herausfinden.«
Auf ihren Plünderzügen hatten die Ritter von dem flussartigen Ablauf des langgestreckten Sees erfahren. Auf diesem Weg brachten die Türken Verpflegung und frische Truppen in die Stadt, aber auch die Schiffe des Kaisers konnten diese Wasserstraße stromauf befahren. Eine Stadt dieser Art, von Türken bewohnt, schien schnell und ohne eigene Verluste zu erobern zu sein.
»Zuerst sehen wir in den Dörfern nach, ob es sich für uns lohnt!«
Gottfried Burel ritt an und gab seine Zeichen und Befehle. Der Heerhaufen teilte sich, als sei er eine Hand mit fünf gierigen Fingern, und polterte den Hang hinunter; die wenigen Reiter auf schweren Pferden voraus, die Bewaffneten auf leichten Tieren dahinter, immer schneller; hinter ihnen rannten die Fußkämpfer, zwischen ihnen trippelten aufgeregt die beladenen Esel. Noch ahnte keiner der Bewohner in diesem weiten Talkessel, dass einige Dutzende gierige Ritter und deren hundertfaches Gefolge sich rücksichtslos auf jede Beute stürzen würden.
Die Ziele des Heeres, das trotz der mittlerweile erworbenen reichlichen Bewaffnung und der Fähigkeit zu kämpfen noch immer eine Armee der Armen war, lagen offen und schutzlos vor den Reitern. Niemand hatte die Bewohner der wehrlosen Dörfer gewarnt. Dutzende Reiter galoppierten in die Umgebung hinaus und verjagten oder erschlugen die Hirten. Sie trieben die Herden auf den Weiden zusammen; das Fußvolk der Grafen zog und zerrte Rinder und Schafe über die abgefressenen Felder zur Straße, und auf Fulks Befehl fingen die Männer an, die Tiere nach Süden zu führen.
Schließlich
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