Jesus liebt mich
Frühstückstisch verkünden: Tut mir leid, Mareike und Maja, ich liebe euren Vater schon seit Jahren nicht mehr?
«Marie, jetzt antworte bitte!», forderte Gabriel mich auf.
In der ganzen Kirche war nur noch eins zu hören … mein Magenknurren.
«Marie …», flehte Sven. Er geriet langsam in Panik.
Ich dachte an die Tränen meiner noch nicht geborenen Töchter. Und da wusste ich plötzlich, warum ich keine Kinder von Sven haben wollte.
Ich liebte ihn. Aber nicht genug für ein ganzes Leben.
Doch was würde ihm mehr wehtun? Wenn ich jetzt «Nein» sagte oder mich später von ihm scheiden ließe?
7
«Was habe ich nur getan, was habe ich nur getan?», heulte ich, als ich auf dem kalten Boden der Kirchen-Damentoilette saß.
«Du hast ‹Nein› gesagt», erwiderte Kata, die neben mir saß und dafür sorgte, dass das von mir vollgeheulte Klopapier im Bindeneimer landete.
«Ich weiß, was ich gesagt habe!», jaulte ich auf.
«Es war auch genau das Richtige. Es war mutig und ehrlich!», tröstete Kata und rollte noch etwas Papier für mich ab. «So viel Mut haben nicht viele. Die meisten an deiner Stelle hätten ‹Ja› gesagt und einen Riesenfehler begangen. Okay, du hättest dir vielleicht einen etwas besseren Zeitpunkt dafür auswählen können, ihn abzuservieren …»
«Sind die Gäste schon weg?», fragte ich.
«Ja. Und die Kinder werden sicherlich für den Rest ihres Lebens traumatisiert sein, wenn es ums Thema Heiraten geht», lächelte Kata nett.
«Was … was ist mit Sven?»
«Der steht draußen vor der Tür und will mit dir sprechen.»
Ich hörte auf zu flennen. Sven wartete vor der Tür? Wenn ich ihm alles erklären würde, vielleicht würde er dann ja verstehen, dass ich ihm noch mehr Schmerz ersparen wollte.Dass wir beide nur unglücklich geworden wären. Ja, sicher würde er das verstehen, trotz all des Kummers, den ich ihm bereitet hatte. Er war ja ein verständnisvoller Mann.
«Hol ihn rein», bat ich Kata.
«Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist …»
«Hol ihn rein.»
«Mit ‹ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist› wollte ich eigentlich ausdrücken, dass es eine außerordentlich beknackte Idee ist.»
«Hol ihn rein!», insistierte ich.
«Okay.»
Kata stand auf und ging los. Ich rappelte mich mit meinem zerknautschten Kleid auf, ging zum Spiegel und sah mein verheultes, von der Schminke verlaufenes Gesicht. Ich warf mir etwas kaltes Wasser hinein, die Schminke verlief noch mehr.
Sven betrat die Toilette, seine Augen waren schwer gerötet, ganz offensichtlich hatte auch er geheult. Ich hoffte, dass er mir verzeihen würde. Er war so ein anständiger Mensch, sicher würde er es tun.
«Sven …», hob ich an und suchte nach den richtigen Worten, um das Zerbrochene ansatzweise zu kitten.
«Weißt du was, Marie?», unterbrach er mich.
«Nein …?», antwortete ich vorsichtig.
«Du kannst dir deine Füße ab jetzt selbst massieren … wenn du mit deinem fetten Schwabbelbauch überhaupt drankommst!»
Ich war geschockt.
Sven stürzte aus der Damentoilette hinaus.
Und Kata legte sanft den Arm um mich: «Anscheinend liebte er dich doch nicht so, wie du warst.»
Am liebsten hätte ich mich für die nächsten Jahre auf der Damentoilette der Kirche eingenistet, aber Pastor Gabriel hatte was dagegen. Er bat mich zu gehen, überraschenderweise ohne ein anklagendes Wort. «Schließlich», so sagte Gabriel, «steht nirgendwo in der Bibel geschrieben, dass man die ‹Willst du?›- Frage mit ‹Ja› beantworten müsse.»
Beim Verlassen der Kirche fiel mein Blick nochmal zufällig auf ein Jesus-Bild. Ich erinnerte mich, wie Gabriel uns im Konfirmandenunterricht erzählt hatte, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt hatte, damit eine Hochzeitsfeier weitergehen konnte. Tja, sah so aus, als ob man heute so einen Partygast nicht brauchte.
Vor der Kirchenpforte waren Svens Verwandte und Freunde schon alle weg, was mich enorm erleichterte, hatte ich doch für einen Sekundenbruchteil eine gute alte zünftige Dorf-Steinigung befürchtet. Nur meine kleine Familie war noch versammelt: Mama, Papa, Michi und Swetlana, die sich sicherlich mittlerweile auch fragte, in was für eine Familie sie sich da hinterlistig einschleichen wollte.
Papa machte Mama gerade Vorwürfe: «Im Prinzip bist du an allem schuld. Wegen dir ist sie bindungsunfähig.» Ich hörte das und wollte sofort wieder zurück aufs Klo.
Doch Mama sah mich zuerst und stürmte auf
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