Jesus liebt mich
Sparkassenmann kam zu mir und fragte: «Und, seid ihr nun fertig mit Stimmungstöten?»
Ich blickte mich um und sah in lauter genervte Angestelltengesichter und bestätigte: «Sind wir anscheinend.»
Ich wollte ihm das Mikro wiedergeben. Aber da kam Joshua hinzu: «Ich würde sehr gerne singen. Gibt es vielleicht etwas Besinnlicheres in dieser Maschine?»
«Wir wollen nichts Besinnliches», rief der Sparkassen-Typ. «Wir wollen
99 Luftballons
!»
Ich sah, dass Joshua wirklich beabsichtigte zu singen. Er wollte mich anscheinend nicht enttäuschen. Das war irgendwie niedlich.
Daher zog ich den Sparkassenmann beiseite und raunte ihm leise zu: «Lass ihn singen, oder ich trete in deine Ballons. Dann sind es nur noch 97.»
Darauf antwortete der eingeschüchtert: «Andererseits, ein ruhigeres Lied kann ja auch mal nicht schaden.»
Ich ging zu der Maschine, suchte eine Weile in dem Song-Katalog und fand
Dieser Weg
von Xavier Naidoo. Joshua nahm das Mikrophon und begann mit seiner wundervollen Stimme zu singen: «Dieser Weg wird kein leichter sein/Dieser Weg wird steinig und schwer/Nicht mit vielem wirst du dir einig sein/Doch dieses Leben bietet so viel mehr.»
Als er fertig war, weinte die halbe Sparkasse Malente.
Und sie schrien: «Zugabe, Zugabe, Zugabe!»
Eine junge, ganz zierliche Frau ging auf Joshua zu und schlug ihm vor: «Wie wär’s mit
We will rock you
?»
Joshua fragte recht irritiert: «Handelt das von einer Steinigung?»
Aber er war nicht halb so irritiert wie die junge Frau und ich.
Ich durchsuchte erneut den Song-Katalog und fand nur Titel, die ich für Joshua als ungeeignet befand wie
Do you think I’m sexy
,
Bad
oder von den Prinzen
Mein Hund ist schwul
.
«Ich glaube, wir können gehen», schlug ich ihm daher vor. Aber die von ihm faszinierte Sparkassenmeute wollte ihn einfach nicht ziehen lassen, und so fragte Joshua die Menge: «Darf ich auch einen Psalm singen?»
Der Gegelte antwortete: «Gerne, was immer das auch ist.»
Joshua demonstrierte es ihm. Er sang einen wunderschönen Psalm, den er – anscheinend instinktiv – für die Banker auswählte, mit der Zeile: «Wenn der Reichtum auch wächst, verliert nicht euer Herz an ihn.»
Als er fertig war, klatschten die Sparkassenleute begeistert. Dabei riefen sie: «Bravo», «Zugabe» und «Einer geht noch, einer geht noch rein».
So sang Joshua noch einen weiteren Psalm. Und, von denBankern angefeuert, noch einen. Und noch einen. Insgesamt acht, bis die Bar schloss. Der Barkeeper verzichtete tief bewegt, uns den ganzen Wein in Rechnung zu stellen – selbst die Sparkassenleute hatten von Caipirinhas auf Rotwein umgesattelt –, und alle verabschiedeten sich dankbar von Joshua. Und als ich den beseelten Sparkassenangestellten so hinterherblickte, hatte ich den Eindruck, dass sie am nächsten Tag ihren Kunden bei den Dispokrediten sehr entgegenkommen würden.
Joshua begleitete mich zum Haus meines Vaters, und ich war ebenso beschwingt wie angetüdelt. Schon lange hatte ich nicht mehr so viel Wein getrunken wie mit diesem Mann (der überraschenderweise völlig nüchtern erschien; war er das Trinken gewohnt, oder hatte er einfach nur einen besseren Metabolismus?). Es war auch sicher der merkwürdigste Abend, den ich je mit einem Mann verbracht hatte, wenn man mal von dem Tag absah, an dem Sven in dem überbuchten Hotel auf Formentera zu mir meinte, man könne für eine Nacht auch mal das Zimmer mit seiner Mutter teilen.
Joshua hatte eine Art, Menschen zu berühren. Und mich berührte er auch. Aber ich war komplett unsicher, ob das auf Gegenseitigkeit beruhte. Fand er mich attraktiv? Er hatte mir immer noch nicht auf die Brüste geschaut. War er vielleicht schwul? Das würde erklären, warum er so ein feiner Kerl war.
«Es war ein wunderschöner Abend», lächelte Joshua.
Oh, vielleicht fand er mich ja doch attraktiv?
«Ich habe gespeist, gesungen und vor allen Dingen: Ich habe gelacht», erklärte Joshua. «So einen wundervollen Abend hatte ich lange nicht mehr auf Erden. Und das habe ich nur dir zu verdanken, Marie. Danke!»
Er blickte mich mit seinen tollen Augen sehr dankbar an. Man konnte ihm fast glauben, dass er sich lange nicht so amüsiert hatte.
Wenn man wollte, konnte man das auch als Interesse an mir deuten. Und ich wollte! Hätten meine Knie noch ein kleines bisschen mehr gezittert, hätten sie Charleston getanzt.
«Möchtest du vielleicht noch mit nach oben kommen?», fragte ich, ohne nachzudenken,
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