Jesus liebt mich
daran?»
Es war also keine Halluzination gewesen. Ich hatte niemanden von meinem Erlebnis erzählt. Wie hätte Joshua davon wissen können, wenn es nicht genau so geschehen war?
«Du … du bist also wirklich Jesus», sagte ich mit gedämpfter Stimme.
«Ja, selbstverständlich.»
«Oh!», stöhnte ich auf. Mehr fiel mir nicht ein. Kein «Ich stehe vor dem Sohn Gottes!». Kein «Er wandelt wieder auf Erden!». Kein «Es ist ein Wunder!». Nur ein dusseliges «Oh». Mein ganzes Wesen war ein einziges erschöpftes, erlahmtes und überfordertes «Oh».
«Geht es dir gut?», fragte Jesus nun einfühlsam.
«Oh.»
«Marie, alles in Ordnung?» Er klang nun sogar etwas besorgt.
Mir ging es gar nicht gut. Jemand wie ich hatte in der Anwesenheit Jesu nichts verloren.
«Warum», fragte ich matt, «willst du ausgerechnet mit mir essen gehen?»
«Weil du ein ganz gewöhnlicher Mensch bist.»
«Ein gewöhnlicher Mensch?»
«Genau.»
Es gibt tollere Komplimente. Tausende. Und sicherlich war das damals auch schon so, an den Brunnen von Palästina. Aber warum wollte ich eigentlich Komplimente von Jesus? Schon der Wunsch danach war absurd. Lächerlich. Pathetisch.
Ich blickte auf den See, er wurde von Sekunde zu Sekunde friedlicher. Keine Wellen, kein Sturm, keine Blitze. Obwohl die außerordentlich gut zu der Erkenntnis gepasst hätten, dass ich hier neben Jesus saß.
«Du schweigst.»
Gut beobachtet, dachte ich mir.
«Was ist mit dir?»
«Ich … ich glaube nicht, dass es richtig ist, dass du dich mit mir abgibst.»
«Warum nicht?»
«Ich bin das nicht wert. Du müsstest beim Papst sitzen. Oder so.»
Oder dem Dalai Lama einen Schrecken einjagen, ergänzte ich in Gedanken.
«Du bist genauso viel wert wie der Papst», erwiderte Jesus.
«Das musst du ja sagen. Du bist ja auch Jesus. Du musstalle Menschen gleich finden. Aber glaube mir, ich bin es nicht wert, bei dir zu sein.»
«Du bist es wert.»
Das zeigte nur, dass er nicht wusste, was für ein Versager ich bin. Zu wissen, dass man im Leben nichts Besonderes geleistet hat, ist das eine. Es in der Anwesenheit von Gottes Sohn zu realisieren, etwas anderes.
«Ich habe eine Bitte an dich», sagte Jesus und blickte mir nun tief in die Augen.
«Und welche?»
«Verbringe den Abend mit mir, wie du ihn mit jedem anderen Menschen auch verbringen würdest.»
«Du bist aber nicht jeder andere.»
«Doch, jeder Mensch kann so sein wie ich, wenn er es nur will.»
Klar, dachte ich mir. Das nächste Mal gehe ich auch übers Wasser. «Warum willst du das so gerne?», fragte ich nach.
«Weil … weil …», er rückte nicht mit der Sprache raus. Das erste Mal, dass ich erlebte, wie er bei etwas richtig zögerte. Hatte er etwa Gefühle für mich? Wollte er deswegen eine Verabredung?
Nein, so etwas überhaupt zu denken war Blasphemie! Der Sohn Gottes konnte sich gar nicht in eine Irdische verlieben. Und schon gar nicht in mich.
Jesus räusperte sich und antwortete mit fester Stimme: «Weil ich neugierig bin, wie die Menschen heute leben.»
Das war es also. Er brauchte einen Fremdenführer. Ich nickte matt zustimmend. Und er freute sich aufrichtig darüber.
Joshua ging vom Steg zurück in unser Haus, um den Dachboden zu Ende zu reparieren. Und ich starrte stumpf auf denSee: Ich hatte Jesus zu einem Date zugesagt. Auf der nach oben offenen «Wie verrückt kann mein Leben denn noch werden?»-Skala erreichte das einen neuen Topwert.
Aber wenn der Sohn Gottes will, dass man ihm die Welt zeigt, was sollte man da sagen? Sorry, ich geh lieber Augenbrauen zupfen?
Eine Weile blieb ich noch sitzen und versuchte das Ganze zu verarbeiten. Den Gedanken, dass ein lächerlicher Mensch wie ich sich in Jesus verknallt hatte, war ganz oben auf der Verarbeitungsliste. Es war aber ziemlich einfach, ihn abzuarbeiten: Die Erkenntnis, es mit Jesus zu tun zu haben, hatte alle meine Gefühle in absolute Schockstarre versetzt. Ich empfand rein gar nichts mehr für ihn. Gott sei Dank.
Stattdessen machte ich mir nun Gedanken, wie ich mit ihm den Abend verbringen sollte. Was würde jemand wie Jesus gerne erleben wollen? Dabei stellte ich fest, dass ich nicht den blassesten Schimmer hatte. Und gleich darauf stellte ich fest, dass ich auch kaum Ahnung von ihm hatte.
Um das zu ändern, ging ich in unsere schöne Malenter Buchhandlung und bat die Bedienung um eine Bibel. Sie fragte: «Welche Ausgabe?»
Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was sie damit meinte. Gab es verschiedene
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