Jesus liebt mich
hatte wieder Schmerzen, furchtbare Schmerzen, und die mussten ihr genommen werden. Sofort!
Michi staunte nicht schlecht, als ich sein Auto, einen klapprigen VW Käfer, leihen wollte, um Jesus daran zu hindern, das Schiff zu besteigen. Bis jetzt hatte Michi mich nur für verwirrt gehalten, jetzt war er der Ansicht, dass ich entweder a) komplett irre, b) von dem Zimmermann hypnotisiert, c) auf Drogen oder d) alles auf einmal war.
In meinem wütend entschlossenen und in seinen Augen durchgeknallten Zustand wollte Michi mich partout nicht allein lassen und schon gar nicht ans Steuer seines geliebten Wagens. Er schloss die Videothek und machte sich in seinem VW mit mir auf den Weg nach Hamburg. Auf der Autobahn motzte ich Michi laufend an, weil ihn so alberne Sachen interessierten wie Geschwindigkeitsbeschränkungen, das Verbot, rechts zu überholen, und die Missachtung meiner Anregung, man könne zähflüssigen Verkehr sehr gut auf dem Standstreifen umfahren.
Daher zwang ich ihn zum Halt auf einem Parkplatz, zog ihn vom Fahrersitz und setzte mich selbst ans Steuer. Ich heizte nun in einem Affenzahn gen Hamburg.
Im Inneren des Käfers war es sehr laut. Der Wagen zitterte wie ein Spaceshuttle beim Eintritt in die Erdatmosphäre, wenn die Astronauten feststellen, dass die Jungs in der Konstrukteursabteilung das Problem mit den Hitzeschilden leider doch nicht so gut in den Griff bekommen haben, wie auf der Betriebsfeier behauptet.
Michi schloss des Öfteren die Augen, besonders wenn ich mit meinen Überholmanövern gestandene Trucker dazu brachte, nach Luft zu ringen. Als ich, ohne den Fuß großartig vom Gas zu nehmen, die Autobahnausfahrt nahm, betete Michi gar das Vaterunser. Ich war viel zu wütend auf den unsrigen Vater, aber das verriet ich meinem Freund nicht. Ich heizte weiter Richtung Hafen, in dem das Schiff namens
Bethlehem vier
vor Anker liegen musste, das neben Haribo-Goldbärchen, Twix und Duplo auch Jesus nach Israel bringen sollte.
Ich parkte den Käfer, und zwar ohne, wie von dem jammernden Michi aufgrund meines Tempos noch Sekunden zuvor gemutmaßt, als Wasserleiche im Hafenbecken zu enden. Ein Matrose stand an der Reling des Schiffes. Er hatte ein Drachen-Tattoo auf dem linken Arm. Anscheinend wusste der Mann nicht, dass die meisten Menschen Drachenbilder heutzutage nicht mit exotischer Aggressivität, sondern mit Jugendbüchern assoziieren. Ich fragte ihn nach dem Zimmermann, und er erwiderte, dass das Schiff eine halbe Stunde später als geplant ablegen würde und sich Joshua ein bisschen die Beine vertreten wollte. Auf die Nachfrage, wo genau er sich denn die Beine vertrete, antwortete der Matrose: «Er ist im Moulin Rouge.»
«Moulin Rouge?» Das klang nicht gut. Bei einem Schuppen mit dem Namen in einem Hafengebiet handelte es sich wohl kaum um ein Avantgardetheater.
Der Matrose erklärte uns den Weg und warnte noch davor, dass die dort berufstätigen Damen in der Regel nicht in Euphorie ausbrechen, wenn eine Frau das Etablissement betritt.
«Jesus will da sicherlich die Zeit nutzen, um gefallene Frauen zu bekehren», erklärte ich Michi.
«Ja, klar, und im ‹Playboy› interessiert er sich nur für die Interviews.» Er glaubte mir immer noch nicht, dass es sich um den Messias handelte.
Das Moulin Rouge war in einem Bungalow gelegen, dessen rote Leuchtreklame nur partiell funktionierte. An der Tür machte uns eine dickliche Frau auf, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich hatte. Genauso wie ihre Dessous.
«Frauen haben keinen Zutritt», schnauzte sie mich an.
Schwer vorstellbar, dass sie mit dem Aussehen und der unfreundlichen Art hohe Umsätze generierte.
«Kann er denn rein?», fragte ich und deutete dabei auf Michi, der schlagartig knallrot wurde.
«Klar!», lächelte die Dame etwas kariös und zog den völlig verdutzten Michi rein, bevor der protestieren konnte.
«Schick Jesus zu mir», rief ich meinem ganz und gar nicht glücklich aussehenden Kumpel hinterher. Dann wartete ich eine Weile, bis die Tür wieder aufging und Jesus heraustrat. Ihm folgte eine junge Frau in roten Dessous. Die Dame wirkte leicht verstört, aber er beruhigte sie: «Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von nun an nicht mehr.»
Die Frau zog erleichtert davon. Jesus freute sich sichtlich, mich zu sehen, war aber auch überrascht. Auch ich fand es schön, wieder in seiner Nähe zu sein. Am liebsten hätte ich mir auch eine Koje auf dem Frachtschiff genommen. Jetzt verstand ich, warum Maria
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