Jesus liebt mich
hörte mir nutzlose Regeln an.
Michi wollte nun auch die Badevorschriften aus dem dritten Buch Mose vorlesen, die dem männlichen Samenerguss gelten, aber ich nahm ihm die Bibel aus der Hand: «Das möchte ich jetzt wirklich nicht hören.»
Er nickte verständnisvoll und meinte: «Ich glaube, es reicht wirklich, wenn man sich an die Zehn Gebote hält.»
Da ich ja auch die nicht komplett parat hatte, ließ ich mir von Michi zeigen, wo die Zehn Gebote standen. Und so las ich das erste Mal in meinem Leben wirklich konzentriert in der Bibel. Was so ein Selbsterhaltungstrieb alles bewirken kann …
Die ersten drei Gebote sollten keine Probleme bereiten: Gott ist der Herr, ich sollte keine anderen Götter neben ihm haben und mir auch kein Abbild von ihm machen. Das war alles okay. Auch wenn ich für eine kurze Sekunde wieder das Bild von Gott auf der Psychiatercouch vor mir hatte, weil er die Merkmale eines Kontrollfreaks aufwies.
Auch das vierte Gebot war akzeptabel: Ich sollte am siebenten Tag ruhen. Das hatte ich eigentlich mein ganzes Leben lang beherzigt, gehörte ich doch nie zu den Workaholics, die auch das Wochenende durcharbeiten. Irgendwie amüsierte mich die Vorstellung, dass die Verfechter der Leistungsgesellschaft am Ende deswegen nicht in den Himmel kämen … Auch hatte ich nicht gemordet, nicht die Ehe gebrochen (ich war ja nie verheiratet, und verheiratete Männer haben sich nie für mich interessiert). Ich hatte auch nie gestohlen (höchstens mal Dinge ausgeliehen und nicht zurückgegeben) und weder meines Nächsten Haus noch meines Nächsten Weib begehrt (von «zu begehrenden Männern» stand ja nichts in dem neunten Gebot).
Michi fand, dass ich in meiner Panik vor dem Feuersee die Gebote doch recht einseitig zu meinen Gunsten auslegte. Er hatte natürlich recht, ich hatte oft die Männer anderer Frauen begehrt. Viel zu oft. Und für meinen Geschmack viel zu oft nicht gekriegt.
Auch hatte ich gegen das zehnte Gebot verstoßen und eigentlich ständig auch die Dinge anderer begehrt: Das Cabriovon Marc, die Schuhkollektion meiner Kollegin, die Figur von Jennifer Aniston …
Aber was mir am meisten Kopfschmerzen bereitete, war das Gebot Nummer fünf, die blöde Sache mit den Eltern! Ob ich das bis zum Weltuntergang, wann immer der sein sollte, hinkriegen würde?
Kurze Zeit später betrat ich aufgeregt die Urologenpraxis meines Vaters. Ich fragte seine Sprechstundenhilfe Magda, eine Frau, die mit ihm in der Praxis gealtert war, ob ich zu ihm könne. Sie führte mich spontan in sein Arbeitszimmer und wollte mir gleich einen Kakao machen. Dass ich mittlerweile fünfunddreißig Jahre alt war, ignorierte sie hartnäckig.
Mein Vater hatte seinen weißen Arbeitskittel an, sortierte gerade abgelaufene Mustermedikamente aus seinem Schrank heraus, um sie Afrika-Hilfsorganisationen zu spenden, und war erstaunt, mich zu sehen: «Was tust du denn hier?»
«Ich wollte dir sagen, dass ich deine Entscheidung mit Swetlana respektiere.» Von Ehrlichsein beim Elternehren stand ja nichts in der Bibel.
«Oh …», sagte mein Vater verblüfft. «Das … das freut mich.»
Ich schwieg und spielte mit einem Briefbeschwerer, der auf seinem Schreibtisch lag.
«Du hast also nichts dagegen, dass sie zu mir zieht?», fragte er.
«Wenn es dein Wunsch ist, ist es für mich okay», log ich und umkrampfte mit meiner Hand den Briefbeschwerer.
«Ich trage mich mit dem Gedanken, sie zu heiraten», gestand Papa.
Er hatte sichtlich Angst, dass ich negativ reagieren würde.Aber jetzt, wo ich in Frieden kam, traute er sich das auszusprechen.
«Wenn es das ist, was du willst …» Das mit dem Ehren war echt hart.
Mein Vater freute sich über die Antwort. Und er wollte die Gunst der Stunde nutzen: «Wir planen auch, ein Kind zu bekommen.»
«No fucking way!!!» , schrie ich.
Mein Vater war geschockt. Ich pfefferte ihm den Briefbeschwerer auf den Tisch und stürmte aus der Praxis. Ohne den Kakao von Magda auch nur eines Blickes zu würdigen.
Vor der Praxistür lehnte ich mich an die Wand und fluchte: «Verdammt, warum kann ich das nicht?»
Ein alter Mann, der gerade in die Praxis wollte, fragte mich: «Ach, auch Probleme beim Harnlassen?»
Ich warf ihm einen bösen Blick zu, und der Mann hastete ängstlich in die Praxis. Da trat Magda heraus, mit der Tasse Kakao.
«Ich will den verdammten Kakao nicht», meckerte ich sie an.
«Du wirst ihn wollen», erklärte sie einfühlsam.
«Werd ich
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