Jesus liebt mich
nicht!»
«Dein Vater lässt dir ausrichten, dass er dich nie wiedersehen will. Du sollst deine Sachen packen und aus seinem Haus verschwinden», flüsterte sie kleinlaut und streckte mir die Tasse hin. Und ich schlürfte traurig den Kakao.
Als ich ausgetrunken hatte, fiel mir ein, dass ich noch einen Elternteil hatte, den ich ehren konnte. Auch wenn es mir extrem schwerfiel.
Meine Mutter und ich verabredeten uns in einem Café inder Malenter Fußgängerzone, bestellten uns Cappuccinos, und ich begann meine Mutter zu ehren. Ähnlich aufrichtig wie zuvor meinen Vater: «Es … es tut mir leid, dass ich die letzten Jahre so aggressiv dir gegenüber war.»
«Ich glaub dir kein Wort», erwiderte meine Mutter.
«W … wieso das denn nicht?»
Sie erklärte mir, dass meine Augen wegblickten, was auf eine Lüge schließen ließ. Und dass ich krampfhaft meinen Löffel umschloss, was auf eine unterdrückte Wut hinwies.
«Was ist los?», fragte sie.
«Ach, vergiss es», antwortete ich und wollte aufstehen, das Ganze war komplett bescheuert. Als Moses damals mit den Zehn Geboten den Berg Sinai heruntergestiefelt war, hatte man sicherlich noch nichts von Müttern mit abgeschlossenem Psychologiestudium gehört.
«Irgendetwas liegt dir doch auf dem Herzen.» Sie fasste meinen Arm und drückte mich wieder sanft in meinen Sitz. Sie war anscheinend froh, dass ich das erste Mal in all den Jahren einen Schritt auf sie zu gemacht hatte, da wollte sie einfach nicht, dass ich gleich wieder verschwand.
«Liegt es an meiner Beziehung zu Gabriel?», vermutete sie völlig falsch.
Da ich aber nicht antwortete – ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass die Welt bald unterging und ich meinen dicken Hintern vor dem Feuersee retten wollte –, ging sie davon aus, dass es wirklich um Gabriel ging. Den Mann, von dem ich vermuten musste, dass er wusste, dass es Jesus war, den er bei sich im Pfarrhaus beherbergte. Ich dachte darüber nach, warum Jesus erwähnt hatte, dass Gabriel seine Geburt einst Maria angekündigt hatte, kam aber partout auf keine vernünftige Erklärung – er schien mir nicht gerade der Typ zu sein, der Zeitmaschinen erfand.
«Ich bin einsam, deswegen bin ich bei ihm», erklärte sie. «Sehr einsam.»
Erstaunt blickte ich sie an. Das war kein Psychologengeschwafel wie sonst. Das war aufrichtig. Und das machte mir Angst.
«Bereust du es?», fragte ich vorsichtig.
«Dass ich damals deinen Vater verlassen habe?»
«Ja.»
Sie schwieg. Eine ganze Weile. Das machte mich ungeduldig: «Antwortest du noch diesen Monat?»
«Ich bereue es nur, weil ich dich dadurch verloren habe», erklärte sie unglücklich.
Das erste Mal begriff ich, dass sie mich nie hat verlassen wollen. Sondern nur meinen Vater. Aber das eine ging damals nicht ohne das andere. Durch diese Erkenntnis löste sich ein Kloß des Schmerzes, der seit zwanzig Jahren auf meiner Seele lastete, auf einmal auf.
«Es wäre jetzt albern, wenn wir uns umarmen, oder?», fragte ich mit belegter Stimme.
«Und kitschig», antwortete sie.
«Total.»
«Aber auch völlig in Ordnung», meinte sie. Da kam wieder die Psychologin in ihr durch. Doch das erste Mal in meinem Leben machte mich das nicht wütend. Zögerlich stand ich auf. Sie ebenfalls. Und wir umarmten uns.
Vielleicht war das mit dem «Elternehren» doch nicht so komplett bescheuert.
Auf dem Nachhauseweg war ich erleichtert, und das nicht nur, weil ich nun bessere Karten für das Himmelreich hatte. Da meinte ich auf der anderen Straßenseite Sven zu sehen, wie er … sich mit George Clooney unterhielt?
Ich sah die beiden nur einen kurzen Augenblick, bevor sie um die Ecke und damit aus meinem Blickfeld verschwanden. Ich rieb mir die Augen. Aber ich hätte fast schwören können, dass es George Clooney war.
Malente wurde immer merkwürdiger.
33
Zu Hause angekommen, ignorierte ich Swetlana und ihre Tochter – nirgendwo stand in den Zehn Geboten geschrieben, dass man Heiratsschwindlerinnen und die Kinder von Heiratsschwindlerinnen ehren musste. Ich ging zu Kata ins Zimmer, um ihr zu erzählen, dass Papa mich rausgeworfen hatte. Aber sie war wieder nicht da. Dabei wollte sie doch in Malente bleiben, um mich zu trösten?
Ich betrachtete ihre neueste Zeichnung. Und ich stellte fest, dass Katas aktuelle Gotteskritik doch ein kleines bisschen weniger subtil war als die letzte.
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Katas heiliger Zorn auf Gott war nun ungebremst, heftig und grob. Das machte mir Angst. Ich
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