Jesus von Nazaret
tot umfallen lassen kann oder dass er mit seinem überragenden Wissen alle Lehrer lächerlich macht. Es besteht allein in dem sicheren Glauben, einen anderen Vater zu haben. Mit diesem Glauben wird Jesus noch lange ein verborgenes, unspektakuläres Leben in Nazaret führen. Gott, so sagt es Romano Guardini, »ist nicht im Sturm und nicht im Erdbeben, sondern im stillen Hauch.« 37
5.
K INDER DES L ICHTS
UND DIE F ALLEN DES T EUFELS
Die stillen Jahre in Nazaret waren eines Tages vorbei. Jesus hatte im Kreise seiner Familie gelebt und sein Handwerk ausgeübt. Vermutlich ist sein Vater Josef früh verstorben und Jesus musste sich als der Erstgeborene um seine Mutter und die Geschwister kümmern. Die Jahre in Nazaret waren auch eine Zeit der Sammlung, in denen sich Jesus seiner Sendung immer mehr bewusst geworden ist. In den Evangelien deuten einige Stellen darauf hin, dass sich Jesus von seiner Mutter und seinen Geschwistern entfremdet hat. Sein Verhalten und seine Gedanken wurden von den Familienmitgliedern als sonderbar, wenn nicht gar als verrückt empfunden.
Mit wenig Verständnis oder sogar mit groÃer Aufregung dürften seine Angehörigen und Verwandten auf seinen Entschluss reagiert haben, aus Nazaret wegzugehen. Ein Auslöser sind Gerüchte von einem heiligen Mann namens Johannes, die bis nach Nazaret gedrungen sind. Jesus verlässt sein Heimatdorf und macht sich aufden Weg an den Unterlauf des Jordans. Er ist etwa dreiÃig Jahre alt.
Viele Theologen gehen davon aus, dass Jesus lange Zeit ein Schüler des Johannes war. Ob sie sich schon seit Längerem kannten oder sich bei der Taufe Jesusâ das erste Mal sahen, ist eine Frage, die sich nicht mehr mit letzter Sicherheit klären lässt. Fest steht jedenfalls, dass sich Jesus irgendwann von Johannes trennte und eigene Wege ging. Inwieweit aber war Johannes ein Vorläufer und Jesus sein Nachfolger? Führte Jesus weiter, was Johannes angefangen hat? Kam mit Jesus das groÃe Gericht, mit dem Johannes immer gedroht hatte, näher? Erfüllten sich die Hoffnungen strenggläubiger Kreise nach einem Messias, der die Guten und Gerechten in einen letzten Kampf gegen die Feinde Israels und die Ungläubigen führt und ein Gottesreich errichtet? Oder fing mit Jesus etwas ganz Neues an?
An einem Sommertag im Jahr 1947 suchte der junge Beduine Mohammed ad Dib im Wüstengebirge Juda südlich von Jericho nach einer Ziege, die sich verirrt hatte. An den Steilhängen am Nordufer des Toten Meeres stieà er auf eine Höhle, die er bisher noch nie bemerkt hatte. Zusammen mit einem Freund durchsuchte er die Höhle und sie fanden Tonkrüge, die mit Deckeln verschlossen waren. Die beiden Jugendlichen glaubten schon, einen Goldschatz entdeckt zu haben. Zu ihrer Enttäuschungwaren fast alle Krüge leer, nur einer enthielt mehrere Lederrollen. Die Beduinen verkauften ihren Fund an einen syrischen Antiquitätenhändler. Erst auf abenteuerlichen Umwegen gelangten die Schriftrollen in die Hände von Wissenschaftlern, die sofort erkannten, dass es sich hier um eine sensationelle Entdeckung handelte.
Was die beiden Ziegenhirten gefunden hatten, waren über zweitausend Jahre alte Handschriften des Alten Testaments sowie die Lebensregeln einer jüdischen Glaubensgemeinschaft, darunter auch eine Schriftrolle, die vom »Krieg der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis« handelt. 46 Wer die Rollen hier versteckt hatte und wer die »Söhne des Lichtes« waren, das ergaben Ausgrabungen nur wenige Jahre später. Nicht einmal einen Kilometer entfernt vom Fundort der Schriftrollen entdeckten Forscher die Reste einer Ansiedlung, die als Ruinen von Qumran bekannt waren. In dieser klosterähnlichen Anlage gab es alles, was man zu einem unabhängigen Leben brauchte: Küchen, Werkstätten, Zisternen, Vorratsräume und Schreibstuben, in denen Krüge wie die in den Höhlen gefunden wurden. Vieles spricht dafür, dass dieses Qumran das Zentrum der Glaubensgemeinschaft der Essener war, das zu Lebzeiten Jesu eine Blütezeit erlebte.
Diese Essener waren eine Sekte, die sich ganz bewusst vom normalen Volk und auch vom Tempelkult in Jerusalem absetzen wollte. Ihrer Ãberzeugung nach hatten sichdie Juden von einem gottgewollten Leben entfernt. In der Einsamkeit der Wüste wollten die Essener, die sich auch »Erwählte Gottes« oder »Söhne des Lichtes« nannten,
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