Jesus von Nazaret
sich etwas in ihm vorbereitet, das bei der Taufe am Jordan nun gewaltsam zum Durchbruch gekommen ist. Für Joseph Ratzinger, der als Benedikt XVI. ein Jesus-Buch geschrieben hat, ist die Taufe Jesu »so etwas wie eine formelle Einsetzung in sein Amt«. 51 Und so, wie man in ein übertragenes Amt erst hineinwachsen muss, so muss sich auch Jesus seinen Auftrag erst aneignen. Dem Empfangen folgt die Verarbeitung. Der groÃen Zusage »von oben« folgt die persönliche Klärung, der Weg ins Innere. Das ist fast wie ein notwendiger Vorgang. Und so sprechen die Evangelisten auch nicht davon, dass Jesus aus eigenem Bedürfnis in die Wüste ging, sondern es war der »Geist Gottes« (Mk 1,12), der ihn in die Wüste trieb.
Heute werden Touristen und Pilger mithilfe der Technik zu jenem Ort gebracht, wo Jesus vierzig Tage lang gefastet haben soll. Eine Seilbahn bringt sie hinauf zu dem griechisch-orthodoxen Kloster, das Ende des neunzehnten Jahrhunderts in den steilen Felshang derjudäischen Wüste gebaut worden ist. Ehrfurchtsvoll zeigen die Mönche den Besuchern den Stein, auf dem Jesus gesessen haben soll.
Jesus würde heute wohl diesen Stein meiden, denn er suchte ja die Einsamkeit, die menschenleere Wüste. Und selbst die karge Steinlandschaft der Wüste Judäas war ihm nicht einsam genug. Denn was er suchte, war ein Ort, wo keine fremden Stimmen und Urteile zu ihm drangen, wo er mit sich allein war, wo er sich selbst begegnen konnte. In dieser Versenkung begegnete er noch jemand anderem, einer Gestalt, die man nur in dieser anderen »Wüste« antrifft â dem Teufel. Es ist der Teufel, der Jesus in Versuchung führt. Aber was heiÃt das?
Die Leute von Qumran haben sich abgeschottet von einer Welt, in der für sie der Fürst der Finsternis herrschte. In ihrem kleinen, heiligen Kreis glaubten sie sich frei von Unreinheit und Sünde. Und der Gefahr, von den Verfehlungen der Ungläubigen angesteckt zu werden, begegneten sie mit dem Schutzschild ihrer strengen Rituale und Vorschriften. Ihre Gemeinschaft hielten sie für rein, die Welt drauÃen lehnten sie ab, weil sie sie für »verteufelt« hielten.
Jesus hält alles Böse und Teuflische nicht von sich fern. Das »Kampffeld«, auf dem Gott und der Teufel miteinander ringen, so heiÃt es in einem Roman von Dostojewski, »sind die Herzen der Menschen«. 52 Jesus lässt das Böse an sich heran, um zu erproben, ob er diesen Verführungenstandhält oder nicht. Nur wenn er diese Probe besteht, kann er sicher sein, dass das Vertrauen, das er empfangen hat, auch trägt. Und nur wenn er diesen Verführungen widerstehen kann, kann er das auch von anderen verlangen. Ansonsten wäre Jesus ein Blender, der Verständnis nur heuchelt und von Menschen etwas erwartet, was er selbst nicht zu leisten imstande ist. Hier zeigt sich Jesus wieder als »wahrer Mensch«, seine tiefe Verbundenheit mit den Menschen, wie sie auch im Hebräer-Brief beschrieben wird: »Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat.« (Hebr 4,15)
Diese Versuchungen, das sind auch die inneren Stimmen des Zweifels und der Unsicherheit. Der Teufel in den Erzählungen der Bibel will Jesus zu etwas verlocken, was dieser nicht ist. Und er stellt sich dabei sehr geschickt an. Er ist ein Realist, dazu noch ein gebildeter, der aus der Bibel zitieren kann. Was er sagt, hat Hand und FuÃ. Und denkt man sich an die Stelle von Jesus, so ist man leicht versucht zu sagen: Warum eigentlich nicht? Indem Jesus diese Angebote abwehrt, macht er deutlich, wer er ist und was er will. Aber wer ist er eigentlich? Was hat er gebracht? Hat er die Welt verändert? Und wenn ja, wie?
Der erste Vorschlag, den der Teufel Jesus macht, ist es, Steine in Brot zu verwandeln. (Mt 4,1-11, Lk 4,1-13) Jesus hat vierzig Tage und Nächte gefastet, da ist es nurnatürlich, dass er Hunger hat. Und aus einem Stein einen Laib Brot zu machen, das wäre für den Gottessohn ein Leichtes. Aber der Plan des Teufels geht über Jesusâ privates Bedürfnis hinaus. Was er beabsichtigt, ist, dass Jesus sich als Wohltäter zeigt. Er soll alle Menschen mit Brot versorgen, dann würde ihm das Volk zujubeln. Mehr noch: Wenn erst der Hunger in der Welt abgeschafft ist, dann
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