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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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gegen die Liebe, die letztlich eine falsche Liebe ist, hat vielleicht niemand stärker empfunden und unter ihr hat niemand mehr gelitten als der Beamte und heimliche Dichter Franz Kafka. Er, der nach eigener Aussage das größte Bedürfnis nach Selbstständigkeit hatte, lebte noch als Dreißigjähriger bei den Eltern, und es bestand keine Aussicht, dass es je anders werden würde. Wie sollte er auch revoltieren gegen eine Mutter und einen Vater, die immer beteuerten, dass sie für ihren Sohn alles tun, dass sie ihr Herzblut für ihn geben würden. »Nichts wollen die Eltern«, so schrieb Kafka verzweifelt, »als einen zu sich hinunterziehen, in die alten Zeiten, aus denen man aufatmend aufsteigen möchte, aus Liebe wollen sie es natürlich, aber das ist ja das Entsetzliche.« 35
    Im Vergleich zum »ewigen Sohn« Franz Kafka handelt der zwölfjährige Sohn Jesus mit einer bewundernswerten Entschlossenheit. Von den Vorhaltungen seiner Mutter lässt er sich nicht beeindrucken, auch nicht von ihrer ängstlichen Sorge. Und seinem Vater sagt er auf den Kopf zu, dass er einen anderen Vater habe. Jesus will Josef nicht verletzen, er will ihm nur deutlich machen, dass die Eltern lediglich eine Zeit lang für ihn zuständig sind, sozusagen als Stellvertreter. Sie können ihm ein Heim, Essen und Fürsorge geben. Aber die Liebe unddas Vertrauen, das ein wirklich eigenständiges und freies Leben ermöglicht, die können sie ihm nicht geben. Die kann er nur von einem anderen »Vater« empfangen, einem Vater, der jenseits der menschlichen Welt steht. Josef und Maria haben ihren Sohn bereits verloren, sein Platz ist im Tempel. Sie bleiben seine Eltern, kommen aber an zweiter Stelle. Wenn sie nicht bereit sind, ihn zu »opfern«, ihn herzugeben, freizulassen, dann ist das der sicherste Weg, ihn endgültig zu verlieren.
    Jesus zeigt in dieser Frage eine unsentimentale Entschiedenheit, die er später als Erwachsener auch von anderen erwarten wird. Menschen, die sich ihm anschließen wollen, stellt er vor eine radikale Wahl. »Wenn jemand zu mir kommt«, so sagt er im Lukasevangelium, »und nicht seinen Vater und seine Mutter und sein Weib und seine Kinder und seine Brüder und seine Schwestern und dazu sein Leben gering achtet, kann er nicht mein Jünger sein.« (Lk 14,25)
    Nachfolge bedeutet für Jesus, so zu handeln, zu glauben und zu leben wie er. Ein Nachfolgender in diesem Sinne war der Tuchhändlersohn Franz von Assisi. Er, der einstige Liebling seiner Eltern und Partyheld seiner Heimatstadt, fing plötzlich an, sich sehr seltsam, ja verrückt zu benehmen. Was ihn lockte, war eine andere Idee von Freiheit, und um diese auch zu leben, war es unumgänglich, seinem Vater zu widersprechen. So kam es zu dem großen Eklat auf einem Platz in Assisi. Derwütende Vater stand dem nun fremden Sohn gegenüber. Franz verzichtete nicht nur auf sein Erbe, er zog seine Kleider aus, als Zeichen dafür, dass ihn nichts mehr mit seinem Vater verband. Und er verkündete, von nun an keinen anderen Vater mehr zu haben als den »Vater im Himmel«.
    Der heilige Franziskus hasste seinen Vater nicht. Er sprach ihm nur das Recht ab, über sein Leben zu bestimmen. Die Trennung von seinem Vater war ein »Sprung in die Freiheit«. Es ist dieselbe Freiheit, dieselbe »wundersame Unbekümmertheit«, die der Philosoph Karl Jaspers am Menschen Jesus beobachtet und die ihm so »unbegreiflich« ist. 36 Ein Mensch wie Jesus, so Jaspers, bleibt der Welt verbunden, er nimmt an allem teil, sein Blick ist offen für alles und er kann Menschen verstehen wie kein anderer. Das ist nur möglich, weil er ungebunden bleibt, weil Dinge und Menschen ihn nicht an sich fesseln können, er nicht ihr Gefangener ist. Diese »unendliche Kraft«, die Jesus auszeichnet, kommt für Jaspers aus einem »nicht mehr welthaften Grund«. Es ist ein Grund, den Jesus »Vater« nennt.
    Nach Lukas kehrte der zwölfjährige Jesus mit seinen Eltern nach Nazaret zurück und war ihnen ein gehorsamer Sohn. Rein äußerlich bleibt die »heilige Familie« vereint wie früher. Was sich in Jerusalem ereignet hat, das lässt sich in seinen Folgen nur schwer erkennen, und doch lässt sich hier das Besondere erahnen, das Jesus ausmacht und ihn als Messias auszeichnet. Es besteht nicht darin, dass er Zaubertricks beherrscht, dass er Menschen

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