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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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der Burg Antonia mit ihren vier mächtigen Türmen. Die Burg war für jeden Juden das schmerzliche Sinnbild der römischen Besatzung. Hier, direkt am Rand des wichtigstenjüdischen Heiligtums, hatten auch die Römer ihre militärische Zentrale. Von den Türmen aus überwachten die Soldaten den ganzen Tempelbezirk. Und wenn sie nur die geringsten Zeichen einer beginnenden Unruhe bemerkten, alarmierten sie die Wachsoldaten, die sofort ausrückten und jeden Aufruhr im Keim erstickten.
    Zu der Zeit, als der Herodessohn Archelaus abgesetzt wurde, der römische Prokurator Coponius in den Königspalast einzog und die Stimmung im Land hochexplosiv war, wurden die Sicherheitsmaßnahmen zum Passahfest nochmals verstärkt. Überall in Jerusalem standen die Legionäre, ausgestattet mit Bronzehelm und Kettenpanzer, bewaffnet mit einem Wurfspieß, mit Schwert und Dolch.
    Die Pilger aus Richtung Jericho betraten den Tempelbezirk durch das sogenannte Schaftor im Norden. Erst nach der vorschriftsmäßigen Reinigung durften sie das Innere des Tempelbereiches betreten, zunächst den riesigen Innenhof, der von überdachten Säulenhallen gesäumt war. Jetzt waren sie an dem Ort, wo das zerstreute Volk der Juden seine Heimat hatte, das herrlichste Heiligtum, der religiöse Nabel der Welt. Die ganze Anlage war nochmals ausgerichtet auf einen Mittelpunkt, auf das eigentliche Tempelhaus, wo Gott wohnte. Je näher man diesem Zentrum kam, desto heiliger wurde der Ort. Auf dem Vorhof durften sich auch noch Heidenaufhalten. Hier herrschte an Festtagen drangvolle Enge. Hier konnte man seine Münzen in Tempelgeld wechseln, denn nur damit durften die kultisch reinen Opfertiere gekauft werden.
    Der innere Bereich des Tempels war durch eine Balustrade vom Vorhof abgetrennt. An den Eingängen waren Warnschilder angebracht, die den Heiden den Zugang unter Todesstrafe verboten. Über Treppen gelangte man zunächst in einen Vorhof, der Frauen vorbehalten war, weiter voranschreiten in den nächsten Vorhof durften nur die Männer. Sie hatten nun freien Blick auf den Priesterhof, wo der große Altar stand, auf dem die Opfertiere verbrannt wurden. Zwölf Stufen führten von hier hinauf in das eigentliche Tempelhaus, das Haus des Herrn.
    Der heiligste Raum dieses Gebäudes war durch einen großen Vorhang abgetrennt. Das Allerheiligste war leer. Nur ein Stein bezeichnete die Stelle, wo früher die verloren gegangene Bundeslade gestanden hatte. Niemand durfte diesen Raum betreten, nicht einmal einen Blick durfte man hineinwerfen. Nur einmal im Jahr, am Versöhnungstag, betrat der Hohepriester diesen heiligen Raum, wo Himmel und Erde sich berührten, wo Gott anwesend war. 32
    Die Gemeinschaft dieses Gottes mit den Menschen zu bekräftigen und sie von Störungen frei zu halten, das war der Sinn der täglichen Opfer. Diese Störungenwurden von den Menschen verursacht, dann nämlich, wenn sie sich sittlicher oder ritueller Vergehen schuldig machten. Wer gegen die Sabbatruhe oder die Reinigungsvorschriften verstoßen hatte, der konnte durch seine Opfer den Zorn Gottes beschwichtigen und die Gemeinschaft mit ihm wiederherstellen. Und die Gemeinschaft mit Gott, die bestand in der strengen Einhaltung der Gesetze, die er seinem Volk gegeben hatte. So war für jeden Israeliten der Tempel der Ort, wo der Mensch die Hoheit Gottes anerkannte und sich ihm unterwarf. Und diese Hingabe und Unterwerfung geschah durch das Opfer.
    In der legendenhaften Beschreibung des Lukas blieb Josef mit seiner Familie die ganze siebentägige Festzeit in Jerusalem. (Lk 2,43) Am Vormittag nach dem letzten Festtag machte sich die Reisegruppe aus Galiläa wieder auf den Rückweg in die Heimat. Josef und Maria dachten sich nichts dabei, als Jesus beim Aufbruch nicht bei ihnen war und sie ihn auch in der Folgezeit nicht zu Gesicht bekamen. Sie waren sich offenbar sicher, dass er, wie schon bei der Hinreise, mit anderen Kindern vorausgelaufen war und sich Verwandten oder Freunden angeschlossen hatte. Erst als die Gruppe schon einen ganzen Tag unterwegs war, suchten sie nach ihm, konnten ihn aber nicht finden. Er musste in Jerusalem zurückgeblieben sein. Die Eltern kehrten sofort um und kamen wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden wieder in Jerusaleman. Voller Sorge und Angst durchstreiften sie die Gassen der Stadt und fragten in Gasthäusern und bei Straßenhändlern nach einem allein

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