Jesus von Nazaret
Martin Niemöller. Von Anfang an dabei: Dietrich Bonhoeffer.
Der Pfarrernotbund verpflichtete seine Mitglieder, der Anwendung des Arierparagrafen in der Kirche zu widerstehen und vom Kirchenausschluss bedrohten jüdischen Pfarrern zu helfen, auch finanziell. Dies war immerhin ein Zeichen. Ein Signal für einen machtvollen Widerspruch, wie ihn Bonhoeffer forderte, war es nicht. Dieser ging nun nach England, weil er nicht Pfarrer werden wollte in einer Kirche, die mehrheitlich hinter Hitler stand und in ihrer Minderheit uneins war, zu zaghaft, zu leisetreterisch, zu wenig selbstsicher auftrat. Bonhoeffer spürte, wie sein Drängen in diesem Kreis der Zögerlichen zunehmend als lästig empfunden wurde.
An Karl Barth, den kämpferischsten Hitler-Gegner von Rang unter Deutschlands evangelischen Theologen, schrieb Bonhoeffer von England aus damals: »Ich fühlte, daà ich mich unbegreiflicherweise gegen alle meine Freunde in einer radikalen Opposition befände, ich geriet mit meinen Ansichten über die Sache immer mehr in die Isolierung, obwohl ich persönlich in nächster Beziehung mit diesen Menschen stand und blieb â und das alles machte mir angst, machte mich unsicher, ich fürchtete, daà ich mich aus Rechthaberei verrennen würde â und dabei sah ich gar keinen Grund dafür, daà ich jetzt gerade die Dinge richtiger und besser sehen sollte als so manche ganz tüchtige und gute Pfarrer, zu denen ich einfach aufsehe â und so dachte ich, es wäre wohl Zeit, für eine Weile in die Wüste zu gehen und einfach Pfarrarbeit zu tun, so anspruchslos wie irgend möglich.«
Barth hielt rein gar nichts von der Wüstenidee und machte Bonhoeffer unmissverständlich deutlich, dass die Wüste nicht in England sondern in Deutschland sei, und dort sei auch Bonhoeffers Platz. Er solle darum das nächstbeste Schiff nehmen und zurückkehren. Damit jedoch lieà sich Bonhoeffer rund anderthalb Jahre Zeit. Die nutzte er einerseits, um seinen eigenen Standpunkt weiter zu klären, andererseits, um Kontakte in England zu knüpfen und diese für den Widerstand daheim zu nutzen. Dabei war er nicht ganz erfolglos. Der Erzbischof von Canterbury empfing Bonhoeffer, das machte die deutschen Behörden nervös.
In London lernte Bonhoeffer den anglikanischen Bischof von Chichester, George Kennedy Allen Bell, kennen, der in der ökumenischen Bewegung hohe Ãmter bekleidete und einer der engsten ausländischen Freunde Bonhoefferswurde. Bonhoeffer und Bell erreichten, dass englische Gemeinden öffentlich über das Treiben der Deutschen Christen sprachen, den Rücktritt von Ludwig Müller verlangten und kritische Briefe an den Reichspräsidenten schrieben. Das störte.
Das Hitler-Regime saà damals noch nicht so fest im Sattel, als dass es sich hätte leisten können, die öffentliche Weltmeinung zu ignorieren. Hitler brauchte das Ausland für verschiedene Ziele wie etwa die Olympischen Spiele, die er nach Berlin holen wollte. Auch wollte er, während er schon an Krieg dachte und mit der Aufrüstung begann, die ausländischen Mächte in Sicherheit wiegen. Sie sollten nicht vorzeitig auf die Idee kommen, ihrerseits aufzurüsten. Insofern kam einer wie Bonhoeffer dem Regime total in die Quere.
Und in Barmen, nahe Wuppertal, formierte sich vom 29. bis zum 31. Mai 1934 neuer Ãrger für das Hitler-Regime. Dort trafen sich 138 Abgeordnete aus allen evangelischen Kirchen und schlugen den Nazis die geöffneten Kirchentüren wieder zu, indem sie die berühmte »Barmer Theologische Erklärung« formulierten. Diese im Wesentlichen von Karl Barth formulierte Erklärung enthält eigentlich nur Selbstverständliches in sechs Sätzen, zum Beispiel, dass Jesus Christus der Glaubensgrund der Kirche sei. Aber damals war die Formulierung des Selbstverständlichen eine hochpolitische Angelegenheit: Wer darauf beharrte, dass in der Kirche Gott der Herr sei, verwarf damit, ohne dass er das ausdrücklich formulieren musste, den Anspruch, dass Hitler der Herr über die Kirche sein könne.
Die paar Sätze dieser Barmer Erklärung wirkten wie eines dieser Schilder auf Metzgerei-Türen, wo man einige Hunde sieht und die Aufschrift »Wir müssen leider drauÃen bleiben«. Vor Kirchentüren hing jetzt â unsichtbar, aber wirksam â ein Schild, das Hitler, Goebbels, Göring zeigt und
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