Jesus von Nazareth - Band II
Israels entsühnt, so betet Jesus für sich selbst, für die Apostel und schließlich für alle, die durch sein Wort künftig an ihn glauben werden – für die Kirche aller Zeiten (vgl. Joh 17,20). Er heiligt „sich selbst“, und er erwirkt Heiligkeit für die Seinen. Dass es dabei – trotz der Abgrenzung gegenüber der „Welt“ (vgl. 17,9) – letztlich um das Heil aller, um das „Leben der Welt“ im Ganzen geht (vgl. 6,51),werden wir noch zu bedenken haben. Jesu Gebet zeigt ihn als den Hohepriester des Versöhnungstages. Sein Kreuz und seine Erhöhung ist der Versöhnungstag der Welt, in dem die ganze Weltgeschichte gegen alle menschliche Schuld und all ihre Zerstörungen ihren Sinn findet, in ihr eigentliches Wozu und Wohin hineingetragen wird.
Insofern entspricht die Theologie von Joh 17 genau dem, was der Hebräer-Brief im Detail ausführt. Die Deutung des alttestamentlichen Kultus auf Jesus Christus hin, die dort dargestellt wird, ist auch die Seele des Gebets von Joh 17. Aber auch die Theologie des heiligen Paulus läuft auf diese Mitte zu, die in dramatisch beschwörender Form im Zweiten Korinther-Brief vernehmlich wird: „Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (5,20).
Und ist es nicht wirklich so, dass das Unversöhntsein der Menschen mit Gott, mit dem schweigenden, geheimnisvollen, scheinbar abwesenden und doch überall gegenwärtigen Gott, das eigentliche Problem der ganzen Weltgeschichte ist?
Das Hohepriesterliche Gebet Jesu ist Vollzug des Versöhnungstages, das gleichsam für immer zugängliche Versöhnungsfest Gottes mit den Menschen. An dieser Stelle drängt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Jesu Hohepriesterlichem Gebet und der Eucharistie auf. Es gibt Versuche, dieses Gebet als eine Art von eucharistischem Hochgebet auszulegen, es sozusagen als johanneische Fassung der Einsetzung des Sakraments darzustellen. Solche Versuche sind nicht haltbar. Aber es besteht ein tieferer Zusammenhang.
In Jesu Reden mit dem Vater wird das Ritual des Versöhnungstages in Gebet umgewandelt: Hier wird jeneKulterneuerung konkret, auf die die Tempelreinigung und Jesu Deuteworte für dieses Ereignis abzielten. Die Tieropfer sind vorbei. An ihre Stelle tritt, was die griechischen Väter
thysía logikē
, Opfer in der Weise des Wortes, nannten und was Paulus ganz ähnlich als
logikē latreía
, als wortgeformten, vernunftgemäßen Kult bezeichnet (Röm 12,1).
Freilich – dieses „Wort“, das an die Stelle der Opfer tritt, ist nicht bloßes Wort. Es ist zuallererst nicht nur Menschenrede, sondern Wort dessen, der „
das
Wort“ ist und so alle Menschenworte in den inneren Dialog Gottes, in seine Vernunft und seine Liebe hineinzieht. Es ist aber deshalb noch einmal mehr als Wort, weil dieses ewige Wort gesagt hat: „Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, einen Leib hast du mir bereitet“ (Hebr 10,5, vgl. Ps 40,7;). Das Wort ist Fleisch, und mehr als das: Es ist hingegebener Leib, vergossenes Blut.
Mit der Einsetzung der Eucharistie wandelt Jesus sein Getötetwerden in „Wort“ um, in die Radikalität seiner Liebe, die sich bis in den Tod hinein gibt. So wird er selbst „Tempel“. Insofern das Hohepriesterliche Gebet Vollzugsform der Selbstgabe Jesu ist, stellt es den neuen Kult dar und ist von innen her mit der Eucharistie verbunden: Wenn wir von ihrer Einsetzung handeln, werden wir auf all dies neu zurückkommen müssen.
Bevor wir uns den Einzelthemen des Hohepriesterlichen Gebets zuwenden, muss aber noch ein weiterer alttestamentlicher Bezug genannt werden, den gleichfalls André Feuillet herausgearbeitet hat. Er zeigt, dass die spirituelle Vertiefung und Erneuerung der Idee des Priestertums, die uns in Joh 17 begegnet, in den jesajanischen Gottesknechtsliedern,besonders in Jes 53, schon vorvollzogen ist. Der Gottesknecht, der die Schuld aller auf sich laden lässt (53,6), der sein Leben als Sühnopfer hingibt (53,10), der die Sünde vieler trägt (53,12), tut in alledem den Dienst des Hohepriesters, erfüllt die Figur des Priestertums von innen her. Er ist Priester und Opfer zugleich und erwirkt so Versöhnung. Die Gottesknechtslieder nehmen damit den ganzen Weg der Vertiefung der Idee des Priestertums und des Kultes auf, wie er in der prophetischen Tradition, besonders bei Ezechiel, beschritten worden war.
Wenn sich in Joh 17 auch kein direkter Anklang an die Gottesknechtslieder findet, so ist die Vision von Jes 53 doch grundlegend für das neue
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