Jesus von Nazareth - Band II
Verständnis von Priestertum und Kult, das sich im ganzen Johannes-Evangelium und besonders im Hohepriesterlichen Gebet darstellt. Sichtbar ist uns der Zusammenhang im Kapitel über die Fußwaschung begegnet; deutlich greifbar ist er auch in der Rede vom Guten Hirten, in der Jesus fünfmal von diesem Hirten sagt, dass er sein Leben für die Schafe gibt (Joh 10,11. 15. 17.18ff), und so deutlich Jes 53,10 aufnimmt.
In der Neuheit der Gestalt Jesu Christi – sichtbar im äußeren Bruch mit dem Tempel und seinen Opfern – ist doch die innerste Einheit mit der Heilsgeschichte des Alten Bundes gewahrt. Wenn wir an die Gestalt des fürbittenden Mose denken, der Gott sein Leben für die Rettung Israels anbietet, dann wird noch einmal diese Einheit sichtbar, die zu zeigen ein wesentliches Anliegen des Johannes-Evangeliums darstellt.
VIER GROSSE THEMEN DES GEBETS
A us dem großen Reichtum von Joh 17 möchte ich nun vier Hauptthemen herausgreifen, in denen wesentliche Aspekte dieses großen Textes und damit der johanneischen Botschaft überhaupt erscheinen.
„Das ist das ewige Leben …“
D a ist zunächst Vers 3: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“
Das Thema „Leben“
(zōē)
, das sich vom Prolog (1,4) an durch das ganze Evangelium hindurchzieht, erscheint notwendigerweise auch in der neuen Liturgie der Versöhnung, die sich im Hohepriesterlichen Gebet vollzieht. Die These von Rudolf Schnackenburg und anderen, dass es sich bei diesem Vers um eine später hinzugefügte Glosse handle, weil das Wort „Leben“ hernach in Joh 17 nicht mehr vorkommt, entspringt für mich – genau wie die Quellenscheidung im Fußwaschungskapitel – jener akademischen Logik, die die Kompositionsform eines modernen Gelehrtentextes zum Maßstab der so ganz anderen Weise zu reden und zu denken macht, die wir im Johannes-Evangelium finden.
„Ewiges Leben“ ist nicht – wie der moderne Leser wohl unmittelbar denkt – das Leben, das nach dem Todekommt, während das Leben jetzt eben vergänglich ist und nicht ewiges Leben wäre. „Ewiges Leben“ ist das Leben selbst, das eigentliche Leben, das auch in dieser Zeit gelebt werden kann und dann durch den physischen Tod nicht mehr angefochten wird. Darum geht es: Jetzt schon „das Leben“, das wirkliche Leben zu ergreifen, das durch nichts und niemand mehr zerstört werden kann.
Sehr deutlich erscheint diese Bedeutung von „ewigem Leben“ im Kapitel über die Auferweckung des Lazarus: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25f). „Ich lebe, und ihr werdet leben“, sagt Jesus beim Abendmahl zu seinen Jüngern (Joh 14,19) und zeigt damit noch einmal, dass es für den Jünger Jesu kennzeichnend ist, dass er „lebt“ – dass er also über das bloße Dasein hinaus das
eigentliche
Leben, nach dem alle auf der Suche sind, gefunden und ergriffen hat. Die frühen Christen haben sich von solchen Texten her einfach „die Lebenden“
(hoi zōntes)
genannt. Sie hatten gefunden, was alle suchen – das Leben selbst, das volle und daher unzerstörbare Leben.
Aber wie kommt man dazu? Das Hohepriesterliche Gebet gibt eine vielleicht überraschende, aber im Kontext des biblischen Denkens schon angelegte Antwort: Das „ewige Leben“ findet der Mensch durch „Erkenntnis“, wobei der alttestamentliche Begriff von Erkennen vorausgesetzt wird: Erkennen schafft Gemeinschaft, ist Einssein mit dem Erkannten. Aber natürlich ist nicht
irgendwelche
Erkenntnis der Schlüssel zum Leben, sondern „
dich
, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (17,3). Dies ist eine Art Kurzformel des Glaubens, in der der wesentliche Gehalt der Entscheidungzum Christsein sichtbar wird – die Erkenntnis, die uns der Glaube schenkt. Der Christ glaubt nicht vielerlei. Er glaubt letztlich ganz einfach an Gott, daran, dass es nur einen einzigen wirklichen Gott gibt.
Dieser Gott aber wird ihm zugänglich in seinem Gesandten, Jesus Christus: In der Begegnung mit ihm geschieht jene Erkenntnis Gottes, die zu Gemeinschaft und damit zu „Leben“ wird. In der Doppelform „Gott und sein Gesandter“ kann man nachklingen hören, was besonders in den Gottesworten im Exodus-Buch immer wieder vorkommt: Sie sollen an „mich“, an Gott, glauben und an Mose, den Gesandten. Gott zeigt sein Angesicht
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