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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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dem Gelände der ‚ecclesia elegans’ [der Kirche der Pilgerin Aetheria] wieder den Felsen, auf dem nach der Tradition   … Jesus betete“ (Kroll, S.   410).
    Dies ist einer der ehrwürdigsten Orte der Christenheit. Gewiss, die Bäume stammen nicht aus der Zeit Jesu; Titus hat bei der Belagerung Jerusalems alle Bäume im weiten Umkreis abholzen lassen. Aber der Ölberg ist doch derselbe wie damals. Wer dort verweilt, begegnet einem dramatischen Höhepunkt des Geheimnisses unseres Erlösers: Hier hat Jesus die letzte Einsamkeit, die ganze Not des Menschseins erfahren. Hier ist ihm der Abgrund der Sünde und alles Bösen ins Innerste der Seele gedrungen. Hier ist er von der Erschütterung des nahen Todes berührt worden. Hier hat ihn der Verräter geküsst. Hier haben ihn alle Jünger verlassen. Hier hat er auch um mich gerungen.
    Der heilige Johannes nimmt alle diese Erfahrungen auf und gibt dem Ort eine theologische Deutung, indemer sagt: „Auf der anderen Seite des Baches Kidron war ein Garten“ (18,1). Dasselbe Stichwort kehrt am Ende der Passionsgeschichte wieder: „An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten, und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war“ (19,41). Es ist unverkennbar, dass Johannes mit dem Wort „Garten“ auf die Geschichte vom Paradies und vom Sündenfall anspielt. Er will uns sagen, dass diese Geschichte hier wieder aufgenommen wird. Im „Garten“ geschieht der Verrat, aber der Garten ist auch der Ort der Auferstehung. Denn im Garten hat Jesus den Willen des Vaters ganz bejaht, zu seinem eigenen Willen gemacht und so die Geschichte gewendet.
     
    Nach dem gemeinsamen Psalmengebet, noch auf dem Weg zum nächtlichen Ruheort, macht Jesus drei Prophezeiungen.
    Er wendet auf sich die Prophetie des Sacharja an, der davon gesprochen hatte, „der Hirte“ werde geschlagen werden – das heißt zu Tode kommen   –, und daraufhin würden die Schafe zerstreut (Sach 13,7; Mt 26,31). Sacharja hatte in einer geheimnisvollen Vision auf einen Messias gedeutet, der den Tod erleidet, und auf eine neuerliche, darauffolgende Zerstreuung Israels. Erst durch diese äußersten Bedrängnisse hindurch hat er die Rettung von Gott her erwartet. Jesus gibt dieser dunkel bleibenden Vision, die in eine unbekannte Zukunft ausgreift, konkrete Gestalt: Ja, der Hirte wird geschlagen. Jesus selbst ist der Hirte Israels, der Hirte der Menschheit. Und er nimmt das Unrecht auf sich, die zerstörerische Last der Schuld. Er lässt sich schlagen. Er tritt auf die Seite der Geschlagenen der Geschichte. Jetzt, in dieser Stunde, bedeutetdies auch, dass die Gemeinschaft der Jünger sich zerstreut, dass diese angefangene neue Familie Gottes wieder auseinanderläuft, bevor sie recht begonnen hat. „Der Hirte gibt sein Leben für die Schafe“ (Joh 10,11). Dieses Wort Jesu wird von Sacharja her neu beleuchtet: Die Stunde dafür ist gekommen.
     
    Der Unheilsprophetie folgt aber sogleich auch die Heilsverheißung: „Nach meiner Auferstehung werde ich euch nach Galiläa vorausgehen“ (Mk 14,28). „Vorausgehen“ ist ein typisches Wort der Hirtensprache. Jesus wird durch den Tod hindurch neu leben. Als der Auferweckte ist er vollends der Hirte, der durch den Tod hindurch auf die Straße des Lebens führt. Zum guten Hirten gehört beides: die Lebenshingabe und das Vorausgehen. Ja, die Lebenshingabe ist das Vorausgehen. Gerade durch sie führt er uns. Gerade durch sie öffnet er die Tür in die Weite der Wirklichkeit hinein. Durch die Zerstreuung hindurch geschieht die endgültige Sammlung der Schafe. So steht am Anfang der Nacht auf dem Ölberg das dunkle Wort vom Schlagen und vom Zerstreuen, aber auch die Verheißung, dass Jesus gerade so sich als der wirkliche Hirte zeigen, die Zerstreuten sammeln und auf Gott zu ins Leben hineinführen werde.
     
    Die dritte Prophezeiung ist eine nochmalige Abwandlung der zum Letzten Abendmahl gehörenden Streitgespräche mit Petrus. Petrus überhört die Auferstehungs-Vorhersage. Er nimmt nur die Ankündigung von Tod und Zerstreuung wahr, und dies bietet ihm die Gelegenheit, seinen unerschütterlichen Mut und seine radikale Treue zu Jesus zu bekunden. Weil er das Kreuz nicht will, kanner das Wort von der Auferstehung nicht vernehmen und möchte – wie schon bei Caesarea Philippi – den Erfolg ohne das Kreuz. Er baut auf die eigene Kraft.
    Wer könnte leugnen, dass sein Verhalten die ständige Versuchung der Christen, ja, auch der Kirche

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