Jesus von Nazareth - Band II
mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ (14,36).
Wir können drei Elemente in diesem Beten Jesu unterscheiden. Da ist zunächst die Urerfahrung der Angst, die Erschütterung angesichts der Macht des Todes, das Erschrecken vor dem Abgrund des Nichts, das ihn zittern, ja nach Lukas Blutstropfen vergießen lässt (22,44). Bei Johannes (12,27) ist diese Erschütterung wie bei den Synoptikern im Anschluss an Ps 43,5 ausgedrückt, aber mit einem Wort, das die Abgründigkeit der Angst Jesu besonders deutlich werden lässt:
tetáraktai
– es ist dasselbe Wort
tarássein
, das Johannes gebraucht, um die Erschütterung Jesu am Grab des Lazarus zu benennen (11,33) wieseine innere Erregung bei der Vorhersage des Judas-Verrats im Abendmahlssaal (13,21).
Damit bezeichnet Johannes zweifellos die kreatürliche Urangst angesichts der Nähe des Todes, aber doch noch mehr: die besondere Erschütterung dessen, der das Leben selbst ist, vor dem Abgrund aller Macht der Zerstörung, des Bösen, des Widergöttlichen, das nun direkt auf ihn einstürzt, das er direkt auf sich, ja in sich hineinnehmen soll, bis dahin, dass er selbst „zur Sünde gemacht“ wird (2 Kor 5,21).
Gerade weil er der Sohn ist, sieht er mit letzter Deutlichkeit die ganze schmutzige Flut des Bösen, all die Macht der Lüge und des Hochmuts, all die Raffinesse und Schrecklichkeit des Bösen, das sich die Maske des Lebens umhängt und immerfort der Zerstörung des Seins, der Schändung und der Vernichtung des Lebens dient. Gerade weil er der Sohn ist, empfindet er zutiefst das Grauen, all den Schmutz und das Gemeine, das er in dem ihm zugedachten „Kelch“ trinken muss: die ganze Macht der Sünde und des Todes. All dies muss er in sich hineinnehmen, damit es in ihm entmächtigt und überwunden werde.
Bultmann sagt mit Recht: Jesus ist hier „nicht nur der Prototyp, an dem das vom Menschen geforderte Verhalten exemplarisch sichtbar wird …, sondern er ist auch und vor allem der Offenbarer, dessen Entscheidung die menschliche Entscheidung für Gott in solcher Stunde erst möglich macht“ (S. 328). Die Angst Jesu ist etwas viel Radikaleres als die Angst, die jeden Menschen angesichts des Todes überfällt: Sie ist der Zusammenstoß zwischen Licht und Finsternis, zwischen Leben und Tod selber – das eigentliche Entscheidungsdrama der menschlichen Geschichte. In diesem Sinn dürfen wir mit Pascal dasGeschehen des Ölbergs ganz persönlich auch auf uns beziehen: Auch meine Sünde war in jenem erschreckenden Kelch mit gegenwärtig. „Jene Tropfen Blut habe ich für dich vergossen“, hört Pascal den am Ölberg ringenden Herrn ihm sagen (vgl.
Pensées
, VII 553).
Die zwei Teile des Gebets Jesu erscheinen als das Gegenüber von zweierlei Willen: da ist der „Naturwille“ des Menschen Jesus, der sich gegen das Ungeheuerliche, Zerstörerische des Geschehens sträubt und das Vorübergehen des Kelchs erbitten möchte; und da ist der „Sohneswille“, der sich ganz in den Willen des Vaters hineingibt. Wenn wir dieses Geheimnis der „zwei Willen“ so weit wie möglich zu verstehen versuchen möchten, ist es nützlich, noch einen Blick auf die johanneische Fassung des Gebets zu werfen. Auch bei Johannes finden wir die zwei Bitten Jesu: „Vater, errette mich aus dieser Stunde … Vater, verherrliche deinen Namen“ (12,27f).
Das Zueinander der beiden Bitten ist bei Johannes nicht grundsätzlich anders als bei den Synoptikern. Die Not von Jesu menschlicher Seele („Ich bin erschüttert“; Bultmann übersetzt: „mir ist angst“, S. 327) drängt Jesus, um Rettung aus dieser Stunde zu bitten. Aber das Wissen um seine Sendung, dass er ja gerade für diese Stunde überhaupt gekommen ist, lässt ihn die zweite Bitte aussprechen – die Bitte, dass Gott seinen Namen verherrliche: Gerade das Kreuz, die Annahme des Schrecklichen, das Hineingehen in die Schmach der Vernichtung der eigenen Würde, in die Schmach eines ehrlosen Todes wird zur Verherrlichung von Gottes Namen. Denn gerade so wird Gott als der sichtbar, der er ist: der Gott, der im Abgrund seiner Liebe, im Sich-selber-Geben allen Mächtendes Bösen die wahre Macht des Guten entgegenstellt. Jesus hat beide Bitten ausgesprochen, aber die erste, die um „Rettung“, ist in die zweite, die um Gottes Verherrlichung im Geschehen seines Willens, eingeschmolzen – und so ist der Widerstreit im Innern der menschlichen Existenz Jesu zur Einheit geführt.
JESU WILLE UND DER WILLE
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