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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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spiegelt: ohne Kreuz zum Erfolg zu kommen? So muss ihm seine Schwachheit, die dreimalige Verleugnung angekündigt werden. Niemand ist aus Eigenem stark genug, den Weg des Heils bis zum Ende zu gehen. Alle haben gesündigt, alle brauchen die Erbarmung des Herrn, die Liebe des Gekreuzigten (vgl. Röm 3,23f).

DAS GEBET JESU
     
     
    Ü ber das Gebet am Ölberg, das nun folgt, liegen uns fünf Berichte vor: zunächst die der drei synoptischen Evangelien (Mt 26,36   –   46; Mk 14,32   –   42; Lk 22,39   –   46); dazu kommt ein kurzer Text im Johannes-Evangelium, den Johannes freilich in die Sammlung der Tempelreden am „Palmsonntag“ eingegliedert hat (12,27f), und schließlich ein auf eigener Überlieferung beruhender Text aus dem Hebräer-Brief (5,7ff). Versuchen wir nun, im Zusammenhören der Texte uns, so gut es geht, dem Geheimnis dieser Stunde Jesu zu nähern.
    Nach dem gemeinsamen rituellen Psalmengebet betet Jesus allein – wie in so vielen Nächten zuvor. Allerdings lässt er die aus anderen Zusammenhängen, besonders von der Verklärungsgeschichte her bekannte Dreiergruppe Petrus, Jakobus und Johannes in seiner Nähe, die so – obwohl immer wieder vom Schlaf überwältigt – Zeugen seines nächtlichen Ringens werden. Markus sagt uns, dass Jesus „von Furcht und Angst ergriffen“ wird. Der Herr sagt zu seinen Jüngern: „Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht!“ (14,33f).
    Der Ruf zur Wachsamkeit ist schon ein Hauptthema der Verkündigung in Jerusalem gewesen und erscheint nun mit einer ganz unmittelbaren Dringlichkeit. Aber obwohl er sich gerade auf diese Stunde bezieht, weist er voraus in die kommende Geschichte der Christenheit. Die Schläfrigkeit der Jünger bleibt die Jahrhunderte hindurch die Chance für die Macht des Bösen. Diese Schläfrigkeitist eine Abstumpfung der Seele, die sich nicht aufregen lässt durch die Macht des Bösen in der Welt, durch all das Unrecht und all das Leid, das die Erde verwüstet. Sie ist eine Stumpfheit, die all dies lieber nicht wahrnehmen möchte; die sich beruhigt, dass alles schon nicht so schlimm sei, um in der Selbstzufriedenheit des eigenen gesättigten Daseins fortfahren zu können. Aber diese Stumpfheit der Seelen, dieser Mangel an Wachsamkeit sowohl für die Nähe Gottes wie für die drohende Gewalt des Übels, gibt dem Bösen Macht in der Welt. Den schläfrigen, nicht zu beunruhigenden Jüngern gegenüber sagt der Herr von sich selbst: „Meine Seele ist zu Tode betrübt.“ Dies ist ein Wort aus Ps 43,5 und lässt andere Psalmworte anklingen.
    Auch in seiner Passion, auf dem Ölberg wie am Kreuz, spricht Jesus mit Psalmworten von sich und zu Gott Vater. Aber diese Psalmworte sind ganz persönlich geworden, ganz persönliche Worte Jesu in seiner Not: Er ist in der Tat der wahre Beter dieser Psalmen, ihr eigentliches Subjekt. Das ganz persönliche Gebet und das Beten mit den Gebetsworten des glaubenden und leidenden Israel sind hier nahtlos eins.
     
    Nach dieser Mahnung zur Wachsamkeit entfernt sich Jesus ein Stück. Es beginnt das eigentliche Ölberggebet. Matthäus und Markus sagen uns, dass Jesus sich auf die Erde niederwirft – die Gebetshaltung der äußersten Unterwerfung unter den Willen Gottes, des radikalen Sich-Ergebens an ihn, die in der abendländischen Liturgie noch am Karfreitag und bei der Mönchsprofess wie bei der Diakonen-, der Priester- und der Bischofsweihe geübt wird.
    Lukas sagt demgegenüber, dass Jesus kniend betet. Er stellt so von der Gebetshaltung her dieses nächtliche Ringen Jesu in den Zusammenhang der Geschichte christlichen Betens hinein: Stephanus sinkt bei der Steinigung betend auf die Knie (Apg 7,60); Petrus kniet, ehe er Tabitha vom Tod erweckt (Apg 9,40); Paulus kniet, als er von den ephesinischen Presbytern Abschied nimmt (Apg 20,36), und nochmals, als die Jünger ihm sagen, er solle nicht nach Jerusalem hinaufziehen (Apg 21,5). Alois Stöger sagt dazu: „Sie alle beten kniend angesichts der Macht des Todes; das Martyrium kann nicht anders als durch das Gebet bewältigt werden. Jesus ist Vorbild der Martyrer“ (
Das Evangelium nach Lukas
II, S.   247).
    Nun folgt das eigentliche Gebet, in dem das ganze Drama unserer Erlösung gegenwärtig ist. Markus sagt zuerst zusammenfassend, Jesus habe gebetet, „dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe“ (14,35). Den wesentlichen Satz des Betens Jesu bringt er wörtlich so: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von

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