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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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Was ist das für ein Mensch, der keinen eigenen menschlichen Willen hat? Ist ein Mensch ohne Willen wirklich ein Mensch? Ist Gott in Jesus wirklich Mensch geworden, wenn dieser Mensch keinen Willen hatte?
    Der große byzantinische Theologe Maximus der Bekenner(† 662) hat die Antwort auf diese Frage im Ringen um das Verstehen des Ölberggebets Jesu erarbeitet. Maximus ist zunächst und vor allem ein entschiedener Gegner des Monotheletismus: Die menschliche Natur Jesu wird durch die Einheit mit dem Logos nicht amputiert, sie bleibt vollständig. Und zur menschlichen Natur gehört der Wille. Diese unabweisbare Zweiheit von menschlichem und göttlichem Wollen in Jesus darf aber nicht zur Schizophrenie einer doppelten Persönlichkeit führen. Deshalb müssen Natur und Person in ihrer je eigenen Seinsweise gesehen werden. Das bedeutet: Es gibt in Jesus den „Naturwillen“ der menschlichen Natur, aber es gibt nur
einen
„Personwillen“, der den „Naturwillen“ in sich aufnimmt. Und dies ist ohne Zerstörung des eigentlich Menschlichen möglich, weil von der Schöpfung her der menschliche Wille auf den göttlichen hingeordnet ist. Er findet im Einstimmen in den göttlichen Willen seine Vollendung, nicht etwa seine Zerstörung. Maximus sagt dazu, dass der menschliche Wille schöpfungsgemäß auf die Synergie (das Zusammenwirken) mit Gottes Willen hin tendiert, dass freilich durch die Sünde aus Synergie Opposition geworden ist: Der Mensch, dessen Wille sich im Einstimmen in Gottes Willen vollendet, fühlt nun seine Freiheit durch den Willen Gottes gefährdet. Er sieht im Ja zum Willen Gottes nicht die Möglichkeit, ganz er selbst zu sein, sondern die Bedrohung seiner Freiheit, gegen die er sich zur Wehr setzt.
    Das Drama des Ölbergs besteht darin, dass Jesus den Naturwillen des Menschen aus der Opposition in die Synergie zurückholt und damit den Menschen in seiner Größe wiederherstellt. In dem menschlichen Naturwillen Jesu ist sozusagen in ihm selbst der ganze Widerstand dermenschlichen Natur gegen Gott anwesend. Unser aller Eigensinn, die ganze Opposition gegen Gott ist da, und ringend zieht Jesus die widerständige Natur in ihr eigentliches Wesen hinauf.
    Christoph Schönborn sagt dazu, „dass der Übergang vom Gegensatz zur Gemeinschaft der beiden Willen durch das Kreuz des Gehorsams führt. In der Agonie von Gethsemane vollzieht sich dieser Übergang“ (
Christus-Ikone,
S.   131). So ist das Gebet „nicht mein Wille, sondern der deine“ (Lk 22,42) wirklich ein Sohnesgebet an den Vater, bei dem der menschliche Naturwille ganz hineingeholt ist in das Ich des Sohnes, dessen Wesen sich eben in dem „nicht ich, sondern du“ ausspricht – in der völligen Übergabe des Ich an das Du Gott Vaters. Dieses „Ich“ aber hat die Opposition des Menschseins in sich aufgenommen und umgewandelt, so dass nun im Sohnesgehorsam wir alle mit anwesend sind, wir alle in die Sohnschaft hineingezogen werden.
     
    Damit kommen wir zu einem letzten Punkt dieses Gebets, zu dessen eigentlichem Deutungsschlüssel, zu der Anrede: „Abba, Vater“ (Mk 14,36). Joachim Jeremias hat 1966 über dieses Gebetswort Jesu ein wichtiges Buch geschrieben, aus dem ich zwei wesentliche Einsichten zitieren möchte: „Während es in der jüdischen Gebetsliteratur keinen einzigen Beleg für die Anrede Gottes mit Abba gibt, hat Jesus Gott (mit Ausnahme des Kreuzesrufes Mk 15,34 par.) immer so angeredet. Wir haben es also mit einem völlig eindeutigen Kennzeichen der ipsissima vox Jesu zu tun“ (
Abba,
S.   59). Dazu zeigt Jeremias, dass dieses Wort „Abba“ der Kindersprache zugehört – dass es die Weise ist, wie in der Familie das Kind den Vater anredet. „Eswäre für jüdisches Empfinden unehrerbietig und darum undenkbar gewesen, Gott mit diesem familiären Wort anzureden. Es war etwas Neues und Unerhörtes, dass Jesus es gewagt hat, diesen Schritt zu vollziehen. Er hat so mit Gott geredet wie das Kind mit seinem Vater   … Das Abba der Gottesanrede Jesu enthüllt das Herzstück seines Gottesverhältnisses“ (S.   63). Es ist daher ganz abwegig, wenn manche Theologen meinen, im Ölberggebet habe der Mensch Jesus den trinitarischen Gott angesprochen. Nein, gerade hier spricht der Sohn, der allen menschlichen Willen in sich aufgenommen und in Sohneswillen umgewandelt hat.

DAS ÖLBERGGEBET JESU IM BRIEF AN DIE HEBRÄER
     
     
    Z uletzt müssen wir uns noch dem Ölbergtext des Hebräer-Briefs zuwenden. Da heißt es: „In den Tagen

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