Jesus von Nazareth - Band II
dem Schlussentscheid geht noch ein dramatisches und schmerzhaftes Zwischenspiel in drei Akten voraus, das wir wenigstens in Kürze bedenken müssen.
Der erste Akt besteht darin, dass Pilatus Jesus als einen Kandidaten für die Pascha-Amnestie vorstellt und ihn auf diese Weise freizubekommen versucht. Damit freilich begibt er sich in eine fatale Situation. Wer als Kandidat für die Amnestie angeboten wird, ist an sich schon verurteilt. Nur so hat die Amnestie Sinn. Wenn der Menge das Akklamationsrecht zukommt, dann ist nach ihrem Zuruf derjenige als verurteilt anzusehen, den sie
nicht
gewünscht hat. Insofern ist im Vorschlag zur Freigabe auf dem Weg der Amnestie im Stillen schon eine Verurteilung eingeschlossen.
Das Gegenüber von Jesus und Barabbas wie die theologische Bedeutung dieser Alternative habe ich im ersten Teil dieses Buches bereits ausführlich behandelt (S. 69f). So braucht hier nur noch kurz an das Wesentliche erinnert zu werden. Johannes nennt Barabbas nach unseren Übersetzungen einfach einen Räuber (18,40). Aber das griechische Wort, das er gebraucht, hatte im damaligen politischen Kontext auch die Bedeutung Terrorist bzw. Widerstandskämpfer angenommen. Dass dies gemeint ist, wird deutlich im Bericht des Markus: „Damals saß gerade ein Mann namens Barabbas im Gefängnis, zusammen mit anderen Aufrührern, die bei einem Aufstand einen Mord begangen hatten“ (15,7).
Barabbas („Sohn des Vaters“) ist eine Art messianischeFigur; zwei Auslegungen der messianischen Hoffnung stehen sich beim Angebot der Pascha-Amnestie gegenüber. Vom römischen Recht her handelt es sich um zwei der gleichen Straftat beschuldigte Delinquenten – Aufrührer gegen die Pax Romana. Es ist klar, dass Pilatus den gewaltlosen „Schwärmer“, der Jesus für ihn ist, vorzieht. Aber die Kategorien der Menge und auch der Tempelbehörde sind andere. Wenn die Tempel-Aristokratie als Äußerstes zu dem Satz „Wir haben keinen König als den Kaiser“ (Joh 19,15) greift, ist dies nur scheinbar ein Verzicht auf die messianische Hoffnung Israels:
Diesen
König wollen wir nicht. Sie möchten eine andere Art von Lösung des Problems. Die Menschheit wird immer wieder vor dieser Alternative stehen: Ja zu dem Gott, der nur mit der Macht der Wahrheit und der Liebe wirkt, oder Setzen auf Konkretes, Greifbares, auf die Gewalt.
Die Anhänger Jesu fehlen auf dem Richtplatz, sie fehlen aus Furcht. Aber sie fehlen auch, weil sie nicht als Masse auftreten. Ihre Stimme wird an Pfingsten in der Petrus-Predigt hörbar, die nun jene Menschen „ins Herz“ trifft, die sich vorher für Barabbas entschieden hatten. Auf die Frage „Was sollen wir tun, Brüder?“ erhalten sie die Antwort: „Denkt um“ – erneuert und verwandelt euer Denken, euer Sein (vgl. Apg 2,37f). Das ist der Ruf, der angesichts der Barabbas-Szene und all ihrer Wiederholungen uns das Herz aufreißen und zur Wende des Lebens führen soll.
Den zweiten Akt fasst Johannes lakonisch in dem Satz zusammen: „Da nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn“ (19,1). Geißelung war die Strafe, die im römischen Strafrecht als Begleitstrafe des Todesurteils vorgenommen wurde(Hengel
/
Schwemer, S. 609). Bei Johannes erscheint sie dagegen als Akt während des Verhörs, eine Maßnahme, zu der der Präfekt aufgrund seiner Polizeigewalt ermächtigt war. Es war eine äußerst barbarische Strafe; der Verurteilte wurde „von mehreren Folterknechten so lange geschlagen, bis diese ermüdeten und das Fleisch des Delinquenten in blutigen Fetzen herabhing“ (Blinzler, S. 321). Rudolf Pesch bemerkt dazu: „Dass Simon von Kyrene Jesus den Kreuzesbalken tragen muss und dass Jesus so schnell stirbt, wird wohl mit Recht mit der Tortur der Geißelung in Zusammenhang gebracht, bei der andere Delinquenten bereits starben“ (
Markusevangelium
II, S. 467).
Der dritte Akt ist die Dornenkrönung. Die Soldaten treiben ihr rohes Spiel mit Jesus. Sie wissen, dass er beansprucht, ein König zu sein. Aber nun ist er in ihren Händen, und nun ist es ihre Lust, ihn zu demütigen, an ihm ihre Stärke zu zeigen, vielleicht auch stellvertretend an ihm ihren Zorn auf die Großen abzuladen. Sie legen ihm, dem am ganzen Körper Zerschlagenen und Verwundeten, in karikierender Form die Zeichen kaiserlicher Majestät um: den purpurnen Mantel, die aus Dornen geflochtene Krone und das Zepter aus Schilf. Sie huldigen ihm: „Sei gegrüßt, König der Juden“; ihre Huldigung besteht aus Ohrfeigen,
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