Jesus von Nazareth - Band II
dem Kleinen und Joses, sowie Salome; sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient. Noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren“ (15,40f). Auch wenn die Evangelisten direkt nichts davon sagen, so kann man doch die Erschütterung und die Trauer dieser Frauen über das Geschehene einfach aus der Mitteilung über ihre Anwesenheit verspüren.
Johannes zitiert am Ende seines Kreuzigungsberichts das Wort des Propheten Sacharja: „Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrt haben“ (19,37; Sach 12,10). Zu Beginn der Apokalypse wird er dieses Wort, das hier die Szene am Kreuz schildert, prophetisch auf die Endzeit anwenden – auf den Augenblick der Wiederkunft des Herrn, in dem alle auf den mit den Wolken Kommenden – den Durchbohrten – schauen und sich an die Brust klopfen werden (Offb 1,7).
Die Frauen schauen auf den Durchbohrten. Wir dürfen hier auch die weiteren Worte des Propheten Sacharja mitdenken: „Sie halten Totenklage um ihn, wie man um den Einzigen klagt; bitter weint man um ihn, wie man um den Erstgeborenen weint“ (12,10). Hatten bis zum Tod Jesu nur Spott und Grausamkeit den leidenden Herrn umgeben, so zeigen die Evangelien nun einen versöhnlichen Ausklang, der zur Grablegung und zur Auferstehungüberleitet. Die treu gebliebenen Frauen sind da. Ihr Mitleid und ihre Liebe gelten dem verstorbenen Erlöser.
So dürfen wir ruhig auch den Abschluss des Sacharja-Textes hinzunehmen: „An jenem Tag wird für das Haus David und für die Einwohner Jerusalems eine Quelle fließen zur Reinigung von Sünde und Unreinheit“ (13,1). Das Schauen auf den Durchbohrten und das Mitleiden werden selbst schon zu einer Quelle der Reinigung. Die verwandelnde Kraft der Passion Jesu beginnt.
Johannes erzählt uns nicht nur, dass beim Kreuz Jesu Frauen standen – „seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala“ (19,25) –, sondern er fährt fort: „Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (19,26f). Dies ist eine letzte Verfügung Jesu, gleichsam ein Adoptionsakt. Er ist der einzige Sohn seiner Mutter, die nach seinem Tode allein in der Welt stehen würde. Nun gibt er ihr den geliebten Jünger zur Seite, macht ihn gleichsam an seiner Stelle zu ihrem Sohn, der von da an Verantwortung für sie trägt – sie zu sich nimmt. Die wörtliche Übersetzung ist noch stärker; man könnte etwa so übertragen: Er nahm sie in sein Eigenes hinein – nahm sie in seinen inneren Lebenszusammenhang auf. Dies ist zunächst also eine ganz menschliche Geste des scheidenden Erlösers. Er lässt die Mutter nicht allein, er gibt sie in die Fürsorge des ihm besonders nahen Jüngers. Und so ist auch dem Jünger eine neue Heimat geschenkt – die Mutter, die für ihn sorgt und für die er sorgt.
Wenn Johannes solche menschlichen Vorgänge mitteilt, will er durchaus Geschehenes festhalten. Aber es geht ihm doch immer um mehr als um einzelne vergangene Fakten. Das Geschehen weist über sich hinaus ins Bleibende hinein. Was will er uns damit sagen?
Einen ersten Anhalt schenkt uns die Anrede an Maria: „Frau“. Es ist dieselbe Anrede, die Jesus auf der Hochzeit zu Kana gebraucht hatte (Joh 2,4). Beide Szenen werden so miteinander verknüpft. Kana war Vorgriff gewesen auf die endgültige Hochzeit – auf den neuen Wein, den der Herr schenken wollte. Erst jetzt wird Wirklichkeit, was damals nur vorausdeutendes Zeichen gewesen war.
Der Anruf „Frau“ weist zugleich auf die Schöpfungsgeschichte zurück, in der der Schöpfer Adam die Frau zuführt. Adam antwortet auf diese neue Schöpfung: „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen …“ (Gen 2,23). Der heilige Paulus hat in seinen Briefen Jesus als den neuen Adam gezeichnet, mit dem die Menschheit noch einmal neu beginnt. Johannes sagt uns, dass zum neuen Adam auch wiederum „die Frau“ gehört, die er uns in Maria vorstellt. Im Evangelium bleibt dies eine leise Andeutung, die im Glauben der Kirche langsam entfaltet wurde.
Die Apokalypse spricht von dem großen Zeichen der Frau, das am Himmel erscheint, und begreift darin ganz Israel, ja, die ganze Kirche mit ein. Immerfort muss die Kirche unter Schmerzen Christus gebären (vgl.
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