Jesus von Nazareth - Band II
des Alten Testaments als „Schatten“ (10,1) und erklärt dies so: „Unmöglich ist es, dass das Blut von Stieren und Böcken Sünde hinwegnimmt“ (10,4). Er zitiert dann Ps 40,7ff und deutet diese Psalmworte als Dialog des Sohnes mit dem Vater, in dem sich die Inkarnation vollzieht und zugleich die neue Gottesverehrung Wirklichkeit wird: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir bereitet; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle –, um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,5ff; vgl. Ps 40,7ff).
In diesem kleinen Psalmzitat gibt es gegenüber dem Originaltext eine wichtige Änderung, die den Endpunkt einer dreistufigen Entwicklung in der Kulttheologie darstellt. Während der Hebräer-Brief liest: „einen Leib hast du mir bereitet“, hatte der Psalmist gesagt: „doch das Gehör hast du mir eingepflanzt“. Schon hier war der Gehorsam an die Stelle der Tempelopfer getreten: Das Leben aus dem und in dem Wort Gottes war als die wahre Weise der Gottesverehrung erkannt worden. Darin berührte sich der Psalm mit einer Strömung des griechischenGeistes in der letzten Periode vor Christi Geburt: Auch in der griechischen Welt wurde immer drängender das Ungenügende der Tieropfer empfunden, derer Gott nicht bedarf und in denen der Mensch Gott nicht gibt, was dieser vom Menschen erwarten dürfte. So wurde hier der Gedanke des „worthaften Opfers“ formuliert: Das Gebet, das Sich-Öffnen des menschlichen Geistes zu Gott ist der wirkliche Kult. Je mehr der Mensch Wort – oder besser: mit seiner ganzen Existenz Ant-Wort auf Gott – wird, desto mehr vollzieht er den rechten Kult.
Im Alten Testament finden wir von den frühen Samuel-Büchern bis in die späte Prophetie Daniels hinein auf immer neue Weise das Ringen mit diesem Gedanken, der sich mit der Liebe zu Gottes weisendem Wort, zur Tora, immer enger verbindet. Gott wird recht verehrt, wenn wir im Gehorsam zu seinem Wort leben und so von seinem Willen durchformt, gottgemäß werden.
Aber andererseits bleibt doch auch immer ein Gefühl des Ungenügens da. Unser Gehorsam ist immer wieder löchrig. Der eigene Wille drängt sich immer wieder vor. Das tiefe Empfinden der Unzulänglichkeit allen menschlichen Gehorsams gegen Gottes Wort lässt doch immer wieder neu die Sehnsucht nach Sühne aufbrechen, die jedoch von uns selbst und von unserer eigenen „Gehorsamsleistung“ her nicht zustande kommen kann. Deshalb bricht dann auch immer wieder mitten in der Rede vom Ungenügen der Schlacht- und Speiseopfer die Sehnsucht danach auf, dass sie in vollkommener Weise zurückkehren könnten (z. B. Ps 51,19ff).
In der Fassung, die das Wort aus Psalm 40 im Hebräer-Brief gefunden hat, ist die Antwort auf diese Sehnsucht enthalten – die Sehnsucht, dass Gott gegeben werde, waswir ihm nicht geben können, und dass es doch unsere Gabe sei, findet Erfüllung. Der Psalmist hatte gebetet: „Brand- und Sündopfer forderst du nicht. Doch das Gehör hast du mir eingepflanzt.“ Der wahre Logos, der Sohn, sagt zum Vater: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gewollt, doch einen Leib hast du mir bereitet.“ Der Logos selbst, der Sohn, wird Fleisch; er nimmt einen menschlichen Leib an. So ist ein neuer Gehorsam möglich, ein Gehorsam, der über alle menschliche Erfüllung der Gebote hinausreicht. Der Sohn wird Mensch und trägt in seinem Leib das ganze Menschsein zu Gott zurück. Erst das fleischgewordene Wort, dessen Liebe sich am Kreuz vollendet, ist der vollkommene Gehorsam. In ihm ist nicht nur die Kritik der Tempelopfer endgültig geworden, sondern auch die verbliebene Sehnsucht erfüllt: Sein leibhaftiger Gehorsam ist das neue Opfer, in das er uns alle mit hineinzieht und in dem zugleich all unser Ungehorsam aufgehoben ist durch seine Liebe.
Noch einmal anders gesagt: Unsere eigene Moralität reicht nicht aus, um Gott recht zu verehren. Das hat der heilige Paulus im Streit um die Rechtfertigung mit großem Nachdruck herausgestellt. Aber der Sohn, der Fleischgewordene, trägt uns alle in sich und schenkt so, was wir selbst nicht geben könnten. Deshalb gehört zur christlichen Existenz sowohl das Sakrament der Taufe als Hineinnahme in den Gehorsam Christi wie auch die Eucharistie, in der der Kreuzesgehorsam des Herrn uns alle umgreift, reinigt und in die vollkommene Anbetung Jesu Christi hineinzieht.
Was die werdende Kirche hier in der
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