Jesus von Nazareth - Band II
betenden Aneignung des Alten Testaments und des Weges Jesu über Inkarnationund Kreuz sagt, steht mitten in dem dramatischen Ringen jener Periode um das rechte Verstehen des Verhältnisses von Mensch und Gott. Es gibt nicht nur Antwort auf das Warum des Kreuzes, sondern antwortet zugleich auf die in der jüdischen wie in der heidnischen Welt bedrängenden Fragen, wie der Mensch recht werden könne vor Gott und wie er umgekehrt Gott, den Geheimen und Verborgenen, recht verstehen könne, soweit dies überhaupt den Menschen geschenkt ist.
Aus all dem bisher Bedachten ist schon sichtbar geworden, dass dabei nicht nur eine theologische Deutung des Kreuzes sowie – vom Kreuz her – der christlichen Grundsakramente, des christlichen Kults erarbeitet wurde, sondern dass immer auch die existentielle Dimension berührt ist: Was heißt das für mich? Was bedeutet es für meinen Weg als Mensch? Denn der leibhafte Gehorsam Christi ist ja als offener Raum dargestellt, in den wir mit hineingenommen werden und durch den unser eigenes Leben einen neuen Zusammenhang findet. Das Mysterium des Kreuzes steht nicht einfach uns gegenüber, sondern bezieht uns mit ein und gibt unserem eigenen Leben einen neuen Rang.
Diese existentielle Seite des neuen Begriffs von Kult und Opfer erscheint besonders deutlich im 12. Kapitel des Römer-Briefs: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, eure Leiber als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott wohlgefällt, als eure Anbetung im Geist [wörtlich: als worthaften Gottesdienst]“ (v. 1). Der Begriff der Gottesverehrung im Wort
(logikē latreía)
ist hier aufgenommen und meint die Hingabe der ganzen Existenz an Gott, in der sozusagen der ganze Mensch worthaft, gottgemäß wird. Dabei istdie Dimension der Leiblichkeit betont: Gerade unsere leibliche Existenz soll vom Wort durchdrungen und Gabe an Gott werden. Paulus, der so sehr die Unmöglichkeit der Rechtfertigung aus eigener Moralität betont, setzt dabei zweifellos voraus, dass dieser neue Gottesdienst der Christen, in dem sie selbst das „lebendige und heilige Opfer“ sind, nur in der Beteiligung an der leibhaftigen Liebe Jesu Christi möglich ist, die all unser Ungenügen überwindet durch die Macht seiner Heiligkeit.
Wenn wir einerseits sagen müssen, dass Paulus mit einer solchen Aufforderung keinem Moralismus verfällt und seine Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben – nicht durch die Werke – keinesfalls zurücknimmt, so wird andererseits doch sichtbar, dass der Mensch mit dieser Rechtfertigungslehre nicht zur Passivität verurteilt ist – nicht zu einem bloß passiven Empfänger der Gerechtigkeit Gottes wird, die ihm eigentlich immer äußerlich bliebe. Nein, die Größe der Liebe Christi zeigt sich eben darin, dass er uns in all unserer Armseligkeit in sich, in sein lebendiges und heiliges Opfer aufnimmt, so dass wir wirklich „sein Leib“ werden.
Im 15. Kapitel des Römer-Briefs nimmt Paulus den gleichen Gedanken noch einmal sehr nachdrücklich auf, indem er sein Apostolat als Priestertum deutet und die gläubig gewordenen Heiden als die lebendige Opfergabe bezeichnet, die Gott gefällt: Ich habe euch geschrieben „kraft der Gnade, die mir von Gott gegeben ist, damit ich als Diener Jesu Christi für die Heiden wirke und das Evangelium Gottes wie ein Priester verwalte; denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist“ (v. 15f).
In neuerer Zeit ist diese Art der Rede über Priestertum und Opfer als bloß allegorisch bezeichnet worden. Von Priestertum und Opfer sei nur in einem uneigentlichen, bloß geistigen, nicht in einem kultischen, wirklichen Sinn die Rede. Paulus selbst und die ganze Alte Kirche haben dies genau umgekehrt gesehen. Für sie galt, dass die dinglichen Opfer nur Opfer und Kult im uneigentlichen Sinn waren – versuchter Ausgriff auf etwas, das sie doch nicht zu verwirklichen vermochten. Der wirkliche Kult ist der lebendige Mensch, der ganz Antwort auf Gott geworden ist, geformt von Seinem heilenden und verwandelnden Wort. Und das wirkliche Priestertum ist daher jener Dienst des Wortes und des Sakramentes, der die Menschen in Gabe an Gott verwandelt, den Kosmos Lobpreis des Schöpfers und Erlösers werden lässt. Deswegen ist Christus, der am Kreuz sich selber gibt, der wahre Hohepriester, auf den das aaronitische Priestertum zeichenhaft hindeutete. Darum ist die Gabe seiner selbst – sein Gehorsam, der uns
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