Jesus von Nazareth - Band II
dessen Sein und Sollen zusammenfügen – eine Art von religiöser Weltanschauung –, aber der christliche Glaube ist tot. Dann war Jesus eine religiöse Persönlichkeit, die gescheitert ist; die auch in ihrem Scheitern groß bleibt, uns zum Nachdenken zwingen kann. Aber er bleibt dann im rein Menschlichen, und seine Autorität reicht so weit, wie uns seine Botschaft einsichtig ist. Er ist kein Maßstab mehr; der Maßstab ist dann nur noch unser eigenes Urteil, das von seinem Erbe auswählt, was uns hilfreich erscheint. Und das bedeutet: Dann sind wir alleingelassen. Unser eigenes Urteil ist die letzte Instanz.
Nur wenn Jesus auferstanden ist, ist wirklich Neuesgeschehen, das die Welt und die Situation des Menschen verändert. Dann wird er der Maßstab, auf den wir uns verlassen können. Denn dann hat Gott sich wirklich gezeigt.
Insofern ist bei unserer Suche nach der Gestalt Jesu die Auferstehung der entscheidende Punkt. Ob Jesus nur
war
oder ob er auch
ist
– das hängt an der Auferstehung. Im Ja oder Nein dazu geht es nicht um ein einzelnes Ereignis neben anderen, sondern um die Gestalt Jesu als solche.
Deswegen ist es notwendig, beim Auferstehungszeugnis des Neuen Testaments besonders sorgsam zuzuhören. Da müssen wir freilich als Erstes feststellen, dass dieses Zeugnis, historisch betrachtet, uns in besonders komplexer Form entgegentritt und viele Fragen aufwirft.
Was ist da geschehen? Das war offenbar für die Zeugen, die dem Auferstandenen begegnet waren, nicht einfach zu sagen. Sie waren mit einer für sie selbst ganz neuen Realität konfrontiert, die ihren Erfahrungshorizont sprengte. So sehr die Realität des Geschehenen sie überwältigte und zum Zeugnis nötigte, so andersartig war sie zugleich. Der heilige Markus erzählt uns, dass die Jünger beim Abstieg vom Berg der Verklärung mit dem Wort Jesu beschäftigt waren, der Menschensohn werde „von den Toten auferstehen“. Und sie fragten einander, was das sei: „von den Toten auferstehen“ (9,9f). In der Tat: Was ist das eigentlich? Die Jünger wussten es nicht und mussten es erst aus der Begegnung mit der Realität erlernen.
Wer an die Auferstehungsberichte mit der Meinung herantritt, er wisse, was Auferstehung von den Toten ist, der kann die Berichte nur falsch verstehen und muss sie dann als unsinnig beiseitelegen. Rudolf Bultmann hat gegenden Auferstehungsglauben eingewandt, selbst wenn Jesus aus dem Grab zurückgekommen wäre, so müsse man doch sagen, dass „ein solches mirakulöses Naturereignis wie die Lebendigmachung eines Toten“ uns nichts helfe und existentiell belanglos sei (vgl.
Neues Testament und Mythologie,
S. 19).
Nun, in der Tat: Wenn es sich bei der Auferstehung Jesu nur um das Mirakel einer wiederbelebten Leiche handeln würde, ginge sie uns letztlich nichts an. Dann wäre sie nicht wichtiger, als die Wiederbelebung klinisch Toter durch die Kunst der Ärzte es ist. An der Welt als solcher und an unserer Existenz hätte sich nichts geändert. Das Mirakel einer wiederbelebten Leiche würde besagen, dass Jesu Auferstehung dasselbe war wie die Erweckung des Jünglings von Naïn (Lk 7,11 – 17), der Tochter des Jaïrus (Mk 5,22 ff.35 – 43 par.) oder des Lazarus (Joh 11,1 – 44). Nach einer mehr oder weniger kurzen Frist kehrten diese in ihr bisheriges Leben zurück, um dann irgendwann später endgültig zu sterben.
Die neutestamentlichen Zeugnisse lassen keinen Zweifel daran, dass mit der „Auferstehung des Menschensohns“ etwas ganz anderes sich ereignet hatte. Jesu Auferstehung war der Ausbruch in eine ganz neue Art des Lebens, in ein Leben, das nicht mehr dem Gesetz des Stirb und Werde unterworfen ist, sondern jenseits davon steht – ein Leben, das eine neue Dimension des Menschseins eröffnet hat. Deshalb ist die Auferstehung Jesu nicht ein Einzelereignis, das wir auf sich beruhen lassen könnten und das nur der Vergangenheit zugehörte, sondern ein „Mutationssprung“ (um dieses gewiss missverständliche Wort als Analogie zu benutzen). In Jesu Auferstehung ist eine neue Möglichkeit des Menschseins erreicht, die alle angeht und Zukunft, eine neue Art von Zukunft, für die Menschen eröffnet.
So hat Paulus vollkommen zu Recht die Auferstehung der Christen und die Auferstehung Jesu unlöslich miteinander verknüpft: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden … Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der
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