Jesus von Nazareth - Band II
Entschlafenen“ (1 Kor 15,16.20). Die Auferstehung Christi ist entweder ein universales Ereignis, oder sie ist nicht, so sagt uns Paulus. Und nur wenn wir sie als universales Ereignis, als die Eröffnung einer neuen Dimension menschlicher Existenz verstehen, sind wir auf dem Weg, überhaupt das Auferstehungszeugnis des Neuen Testaments richtig aufzufassen.
Von da aus versteht sich die Eigenart dieses Zeugnisses im Neuen Testament. Jesus ist nicht in ein normales Menschenleben dieser Welt zurückgekehrt wie Lazarus und die anderen von Jesus auferweckten Toten. Er ist in ein anderes, neues Leben hinausgetreten – in die Weite Gottes, und von da aus zeigt er sich den Seinigen.
Dies war auch für die Jünger etwas völlig Unerwartetes, mit dem sie sich erst langsam zurechtfinden mussten. Der jüdische Glaube kannte zwar die Auferstehung der Toten am Ende der Zeiten. Das neue Leben war mit dem Anbruch einer neuen Welt verbunden und war so auch durchaus verstehbar: Wenn es eine neue Welt gibt, dann gibt es dort auch eine neue Weise des Lebens. Aber eine Auferstehung ins Endgültige und Andere hinein mitten in der weitergehenden alten Welt war nicht vorgesehen und daher zunächst auch nicht verstehbar. Deshalb war den Jüngern die Auferstehungsverheißung zunächst unbegreiflich geblieben.
Der Prozess des Gläubigwerdens vollzieht sich analogzum Fall des Kreuzes. An einen gekreuzigten Messias hatte niemand gedacht. Nun war das Faktum da, und es war vom Faktum her die Schrift neu zu lesen. Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, wie von dem Unerwarteten her die Schrift sich neu öffnete und so auch das Faktum Sinn gewann. Die neue Lektüre der Schrift konnte freilich erst nach der Auferstehung beginnen, weil erst durch sie Jesus als der Gesandte Gottes beglaubigt war. Nun musste man beides, Kreuz und Auferstehung, in der Schrift suchen, sie neu verstehen und dadurch zum Glauben an Jesus als Sohn Gottes gelangen.
Dies wiederum setzt voraus, dass die Auferstehung für die Jünger so real war wie das Kreuz. Es setzt voraus, dass sie einfach von der Wirklichkeit überwältigt wurden; dass sie nach allem anfänglichen Zögern und Verwundern sich der Realität nicht mehr widersetzen konnten: Er ist es wirklich. Er lebt, und er hat zu uns gesprochen, sich uns zu berühren gegeben, auch wenn er nicht mehr der Welt des normalerweise Berührbaren zugehört.
Das Paradox war unbeschreibbar: dass er ganz anders war, keine wiederbelebte Leiche, sondern ein von Gott her neu und für immer Lebender. Und dass er doch gerade so, obwohl nicht mehr unserer Welt zugehörend, zugleich real da war, ganz er selbst. Es ging um eine ganz einzigartige Erfahrung, die die gewöhnlichen Erfahrungsräume sprengte und für die Jünger doch ganz unbestreitbar war. Von daher erklärt sich die Eigenart der Auferstehungszeugnisse: Sie sprechen von etwas Paradoxem, von etwas, das alle Erfahrung überschreitet und dennoch ganz real da ist.
Aber kann es wirklich so gewesen sein? Können wir – zumal als moderne Menschen – solchen Zeugnissen Glauben schenken? Das aufgeklärte Denken sagt Nein. Für Gerd Lüdemann zum Beispiel scheint es evident, dass infolge der „Umwälzung des naturwissenschaftlichen Weltbildes … die traditionellen Vorstellungen von der Auferstehung Jesu als erledigt zu betrachten“ seien (zit. nach Wilckens I/2, S. 119f). Aber was ist nun genau das „naturwissenschaftliche Weltbild“? Wie weit reicht seine Normativität? Hartmut Gese hat in seinem wichtigen Beitrag
Die Frage des Weltbildes,
auf den ich hier verweisen möchte, die Grenzen dieser Normativität sorgsam beschrieben.
Natürlich kann es keinen Widerspruch geben zu dem, was klare wissenschaftliche Gegebenheit ist. In den Auferstehungszeugnissen wird freilich von etwas gesprochen, was in unserer Erfahrungswelt nicht vorkommt. Es wird von etwas Neuem, bis dahin Einmaligem gesprochen – von einer neuen Dimension der Wirklichkeit, die sich zeigt. Das Bestehende wird nicht bestritten. Es wird uns vielmehr gesagt: Es gibt eine Dimension mehr, als wir sie bisher kennen. Steht das in Widerspruch zur Wissenschaft? Kann es wirklich nur das geben, was es immer gab? Kann es nicht das Unerwartete, das Unvorstellbare, das Neue geben? Wenn es Gott gibt, kann er dann nicht auch eine neue Dimension des Menschseins, der Wirklichkeit überhaupt schaffen? Wartet nicht eigentlich die Schöpfung auf diesen letzten und höchsten „Mutationssprung“? Auf die
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