Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
Messias werden könne. Der Engel bestätigt ihr, dass sie nicht auf dem gewöhnlichen Weg nach der Heimholung durch Josef Mutter werden solle, sondern durch „Überschattung, von der Kraft des Höchsten“, durch das Kommen des HeiligenGeistes, und er bestätigt nachdrücklich: „Für Gott ist nichts unmöglich“ (Lk 1,37).
Darauf folgt die dritte Reaktion, die eigentliche Antwort Marias: ihr schlichtes Ja. Sie erklärt sich als Magd des Herrn. „Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38).
Bernhard von Clairvaux hat das Erregende dieses Augenblicks dramatisch in einer seiner Adventspredigten dargestellt. Nach dem Versagen der Stammeltern ist die ganze Welt verdunkelt, unter der Herrschaft des Todes. Nun sucht Gott einen neuen Eingang in die Welt. Er klopft bei Maria an. Er braucht die menschliche Freiheit. Er kann den frei geschaffenen Menschen nicht ohne ein freies Ja zu seinem Willen erlösen. Die Freiheit erschaffend, hat er sich in gewisser Weise vom Menschen abhängig gemacht. Seine Macht ist gebunden an das unerzwingbare Ja eines Menschen. So zeigt Bernhard, wie Himmel und Erde in diesem Augenblick der Frage an Maria gleichsam den Atem anhalten. Wird sie ja sagen? Sie zögert … Wird ihre Demut sie hindern? Dies eine Mal – so sagt Bernhard zu ihr – sei nicht demütig, sondern hochgemut! Gib uns dein Ja! Das ist der entscheidende Augenblick, in dem aus ihrem Mund, aus ihrem Herzen die Antwort kommt: „Mir geschehe nach deinem Wort.“ Es ist der Augenblick des freien, demütigen und zugleich großmütigen Gehorsams, in dem sich die höchste Entscheidung menschlicher Freiheit ereignet.
Maria wird Mutter durch ihr Ja. Die Väter haben dies bisweilen ausgedrückt, indem sie sagten, Maria habe durch ihr Ohr empfangen – das heißt: durch ihr Hören. Durch ihren Gehorsam ist das Wort in sie eingetreten und in ihr fruchtbar geworden. Die Väter haben in diesemZusammenhang den Gedanken der Gottesgeburt in uns durch Glaube und Taufe entwickelt, durch die immer neu der Logos zu uns kommt und uns zu Kindern Gottes macht. Denken wir beispielsweise an die Worte des heiligen Irenäus: „Wie wird der Mensch in Gott übergehen, wenn nicht Gott in den Menschen einging? Wie aber werden sie die Geburt des Todes verlassen, wenn sie nicht wiedergeboren werden zu der neuen Geburt, die da von Gott wunderbar und unbegreiflich zum Zeichen des Heils aus der Jungfrau durch den Glauben geschenkt wurde?“ ( Adv. haer. IV 33,4; vgl. H. Rahner, a. a. O., S. 23).
Ich denke, es sei wichtig, auch den letzten Satz der lukanischen Verkündigungsgeschichte zu hören: „Dann verließ sie der Engel“ (Lk 1,38). Die große Stunde der Begegnung mit dem Gottesboten, in der das ganze Leben sich wendet, geht vorbei, und Maria bleibt allein zurück mit dem Auftrag, der eigentlich über jedes menschliche Vermögen hinausgeht. Keine Engel stehen um sie herum. Sie muss den Weg weitergehen, der durch viele Dunkelheiten hindurchführt – angefangen bei dem Erschrecken Josefs über ihre Schwangerschaft bis zu dem Augenblick, in dem Jesus für verrückt erklärt wird (vgl. Mk 3,21; Joh 10,20), ja bis zur Nacht des Kreuzes hin.
Wie oft mag Maria in diesen Situationen inwendig eingekehrt sein in die Stunde, in der Gottes Engel zu ihr gesprochen hatte, neu hineingehört haben in den Gruß: „Freue dich, Gnadenvolle!“, in das tröstende Wort: „Fürchte dich nicht!“ Der Engel geht, die Sendung bleibt, und mit ihr reift die inwendige Nähe zu Gott, das innere Sehen und Berühren seiner Nähe.
Empfängnis und Geburt Jesu nach Matthäus
N ach dem Bedenken der lukanischen Verkündigungsgeschichte müssen wir nun noch auf die Überlieferung des Matthäus-Evangeliums zum selben Ereignis hinhören. Im Gegensatz zu Lukas berichtet Matthäus darüber ausschließlich aus der Perspektive des heiligen Josef, der als Abkomme Davids für die Verbindung der Gestalt Jesu mit der Davids-Verheißung steht.
Matthäus berichtet uns zunächst, dass Maria mit Josef verlobt war. Nach dem geltenden jüdischen Recht begründete das Verlöbnis bereits eine rechtliche Verbindung der beiden Partner, so dass Maria Josefs Frau genannt werden konnte, auch wenn die „Heimholung“ noch nicht geschehen war, die die eheliche Gemeinschaft begründete. Als Verlobte „lebte die Frau noch im Haus der Eltern und blieb unter der patria potestas. Nach einem Jahr erfolgte die Heimholung oder Eheschließung“ (Gnilka, a. a. O., S. 17). Nun musste Josef
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