Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
Blütezeit des Römischen Reiches nie ungefährdet und nie vollständig verwirklicht. Der Blick auf das Heilige Land genügt, um die Grenzen der Pax Romana zu erkennen.
Das von Jesus verkündete Reich, das Reich Gottes, ist anderer Art. Es gilt nicht nur dem Mittelmeerraum und nicht nur einer bestimmten Epoche. Es gilt dem Menschen in der Tiefe seines Seins; es öffnet ihn zu dem wirklichen Gott. Jesu Friede ist Friede, den die Welt nicht geben kann (vgl. Joh 14,27). Letztlich geht es dabei um die Frage, was Erlösung, was Rettung und Heil bedeutet. Eines ist offenkundig: Augustus gehört der Vergangenheit zu; Jesus Christus hingegen ist Gegenwart und ist Zukunft: „derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8).„Als die Engel sie verlassen hatten …, sagten die Hirten zueinander: Kommt, lasst uns nach Bethlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ. So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag“ (Lk 2,15 f). Die Hirten eilten. In ähnlicher Weise hatte der Evangelist berichtet, dass Maria nach dem Hinweis des Engels auf die Schwangerschaft ihrer Verwandten Elisabeth „mit Eile“ in die Stadt in Judäa reiste, in der Zacharias und Elisabeth lebten (vgl. Lk 1,39). Die Hirten eilten, gewiss auch aus menschlicher Neugier, um das Große zu sehen, das ihnen verkündet war. Aber sicher waren sie auch beschwingt von der Freude darüber, dass nun wirklich der Heiland, der Messias, der Herr geboren war, auf den alles wartete und den sie als Erste sehen durften.
Welche Christen eilen heute, wenn es um die Dinge Gottes geht? Wenn etwas Eile verdient – so will uns der Evangelist wohl im Stillen auch sagen –, dann sind es die Dinge Gottes.
Der Engel hatte den Hirten als Zeichen angegeben, dass sie ein Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend finden würden. Dies ist ein Erkennungszeichen – Beschreibung dessen, was man sehen konnte. Es ist kein „Zeichen“ in dem Sinn, dass die Herrlichkeit Gottes sichtbar wäre, dass man eindeutig sagen könnte: Dies ist der wahre Herr der Welt. Nichts davon. In diesem Sinn ist das Zeichen zugleich auch ein Nicht-Zeichen: Die Armut Gottes ist sein wirkliches Zeichen. Aber den Hirten, die den Lichtglanz Gottes auf ihren Weiden gesehen hatten, ist dies Zeichen genug. Sie sehen von innen her. Sie sehen: Was der Engel gesagt hat, ist wahr. So kehren die Hirten freudig zurück.Sie rühmen Gott und preisen ihn für das, was sie gehört und gesehen haben (Lk 2,20).
Die Darstellung Jesu im Tempel
L ukas schließt die Erzählung von der Geburt Jesu mit einem Bericht darüber ab, was nach dem Gesetz Israels am achten und am 40. Tag mit Jesus geschehen ist.
Der achte Tag ist der Tag der Beschneidung. So wird Jesus förmlich in die von Abraham herkommende Gemeinschaft der Verheißungen aufgenommen; nun gehört er auch rechtlich zum Volk Israel. Paulus spielt auf diesen Vorgang an, wenn er im Galater-Brief schreibt: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz untertan, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen“ (4,4 f). Lukas (2,21) erwähnt ausdrücklich zusammen mit der Beschneidung die Namengebung mit dem verheißenen Namen Jesus („Gott rettet“), so dass von der Beschneidung her der Blick auf die Erfüllung der Erwartungen geöffnet wird, die zum Wesen des Bundes gehören.
Zum 40. Tag gehören drei Ereignisse: die „Reinigung“ Marias, die „Auslösung“ des erstgeborenen Kindes Jesus durch ein vom Gesetz vorgeschriebenes Opfer und die „Darstellung“ Jesu im Tempel.
In der Kindheitsgeschichte insgesamt und so auch in diesem Textstück ist unschwer die judenchristliche Grundlage zu erkennen, die aus der Überlieferung der Familie Jesu stammt. Zugleich aber ist erkennbar, dass sie voneinem griechisch schreibenden und denkenden Redaktor überarbeitet ist, den man sinnvollerweise mit dem Evangelisten Lukas selbst identifizieren wird. In dieser Redaktion wird zum einen sichtbar, dass ihr Verfasser keine genaue Kenntnis der alttestamentlichen Gesetzgebung besaß, und zum anderen, dass sein Interesse nicht ihren Details gehörte, sondern dass es ihm vielmehr um die theologische Mitte des Geschehens ging, die er seinen Lesern deutlich machen wollte.
Im Buch Levitikus ist festgelegt, dass eine Frau nach der Geburt eines Knaben sieben Tage unrein (das heißt ausgeschlossen von
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