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Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)

Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)

Titel: Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI.,
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aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“
    Peter Stuhlmacher weist darauf hin, dass wohl auch die griechische Version von Hab 3,2 mit hereinspielt: „Inmitten zweier Lebewesen wirst du erkannt werden … Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du erscheinen“ (a. a. O., S. 52). Mit den zwei Lebewesen sind offenbar die zwei Cherube gemeint, die nach Ex 25,18–20 auf der Deckplatte der Bundeslade die geheimnisvolle Anwesenheit Gottes anzeigenund verbergen. So würde die Krippe irgendwie zur Bundeslade, in der geheimnisvoll geborgen Gott unter den Menschen ist und vor der für „Ochs und Esel“, für die Menschheit aus Juden und Heiden, die Stunde der Erkenntnis Gottes gekommen ist.
    In der merkwürdigen Verbindung von Jes 1,3; Hab 3,2; Ex 25,18–20 und der Futterkrippe erscheinen nun die beiden Tiere als Darstellung der an sich einsichtslosen Menschheit, die vor dem Kind, vor dem demütigen Erscheinen Gottes im Stall zur Erkenntnis kommt und in der Armseligkeit dieser Geburt die Epiphanie empfängt, die nun alle sehen lehrt. Die christliche Ikonographie hat schon früh dieses Motiv aufgegriffen. Keine Krippendarstellung wird auf Ochs und Esel verzichten.
    Kehren wir nach diesem kleinen Exkurs zum Text des Evangeliums zurück. „Maria gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen“, heißt es da (Lk 2,7). Was bedeutet das?
    Der Erstgeborene ist nicht notwendig der Erste in einer nachfolgenden Reihe. Das Wort „Erstgeborener“ verweist nicht auf eine weitergehende Zahl, sondern gibt eine theologische Qualität an, die in den ältesten Gesetzessammlungen Israels zum Ausdruck kommt. Innerhalb der Pascha-Vorschriften steht der Satz: „Der Herr sprach zu Mose: Erkläre alle Erstgeburt als mir geheiligt! Alles, was bei den Israeliten den Mutterschoß durchbricht, bei Mensch und Vieh, gehört mir“ (Ex 13,1 f). „Jeden Erstgeborenen deiner Söhne musst du auslösen“ (Ex 13,13). So ist das Wort vom Erstgeborenen auch schon ein Vorverweis auf die folgende Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel. Jedenfalls wird mit diesem Wort eine besondere Gottzugehörigkeit Jesu angedeutet.
    Die paulinische Theologie hat den Gedanken Jesu, des Erstgeborenen, in zwei Stufen weiterentfaltet. Im Römer-Brief nennt Paulus Jesus den „Erstgeborenen von vielen Brüdern“ (Röm 8,29): Als Auferstandener ist er nun auf neue Weise „erstgeboren“ und jetzt zugleich der Anfang einer Schar von Brüdern. In der neuen Geburt der Auferstehung ist Jesus nicht mehr bloß der Erste der Würde nach, sondern er eröffnet eine neue Menschheit. Nachdem der Durchbruch durch das eherne Tor des Todes geschehen ist, sind es nun viele, die mit ihm hindurchgehen können – die in der Taufe mitgestorben und mit ihm auferstanden sind.
    Im Kolosser-Brief wird der Gedanke noch einmal ausgeweitet: Christus wird als „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15) und als „der Erstgeborene der Toten“ (1,18) bezeichnet. „In ihm wurde alles erschaffen“ (1,16). „Er hat in allem den Vorrang“ (1,18). Der Begriff der Erstgeburt erhält eine kosmische Dimension. Christus, der menschgewordene Sohn, ist sozusagen die erste Idee Gottes und geht aller Schöpfung voraus, die auf ihn hin und von ihm her bestimmt ist. Er ist damit auch Anfang und Ziel der neuen Schöpfung, die mit der Auferstehung begonnen hat.
    Bei Lukas ist von alledem nicht die Rede, aber für die späteren Leser seines Evangeliums – für uns – liegt auf der armseligen Krippe in der Höhle bei Bethlehem doch schon dieser kosmische Glanz: Hier ist der wahrhaft Erstgeborene des Alls in unsere Mitte getreten.
    „In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie“(Lk 2,8 f). Die ersten Zeugen des großen Ereignisses sind wachende Hirten. Man hat viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass gerade Hirten als Erste die Botschaft empfingen. Mir scheint, man sollte nicht zu viel Scharfsinn in diese Frage investieren. Jesus ist außerhalb der Stadt in einem Bereich geboren, in dem rundum Weidegebiete von Hirten mit ihren Herden waren. So lag es nahe, dass sie als dem Ereignis am nächsten Lebende als Erste zur Krippe gerufen wurden.
    Natürlich kann man den Gedanken sofort weiterführen: Sie haben vielleicht nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich näher an dem Ereignis gelebt als die zufrieden schlafenden Bürger. Sie hatten es auch

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