Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
menschlichen Erfahrung zugängliches Ereignis, sondern einen mythischen Vorgang. Die Idee vom Wort, vom Logos, der sich in der Geschichte entfaltet, geht auf hellenistisches Denken zurück. Auch der Autor des Johannesevangeliums bleibt als Person unbekannt. Die griechische Philosophie ist ihm vertraut, vermutlich stammt er aus einem griechisch sprechenden, judenchristlichen Milieu. Viel spricht dafür, dass er und seine Gemeinde von den Juden aus der Synagoge ausgeschlossen wurden, sie sich aber als das »wahre Israel« sehen.
Was und wie dieser Autor über Jesus berichtet, unterscheidet sich sehr von den anderen drei Evangelien. Wahrscheinlich kannte Johannes sie. Statt von einer Reise nach Jerusalem ist bei ihm von vier Reisen dorthin die Rede. Er präsentiert andere Wunder als Markus, Matthäus und Lukas – auf der Hochzeit von Kana verwandelt Jesus Wasser zu unglaublichen Mengen von Wein. Es scheint, als müssten die Wunder bei Johannes immer eine Nummer größer sein als bei den anderen Evangelisten. Die Kreuzigung ereignet sich bei Johannes am Donnerstag vor dem Pessachfest, nicht am Freitag, wie bei den anderen. Es wird kein letztes Abendmahl zelebriert – stattdessen wäscht Jesus den Jüngern die Füße.
Der Text wird im Nachhinein dem Johannes zugeschrieben, dem Lieblingsjünger Jesu. Immer wieder ist von diesem »Jünger, den Jesus liebhatte«, die Rede. Er weiß mehr als die anderen. Er steht unterm Kreuz, alle anderen Jünger sind geflohen. Ihm trägt der sterbende Jesus auf, für seine Mutter zu sorgen, er ist am Ostermorgen als erster Jünger am Grab, lässt dann aber Petrus den Vortritt beim Betreten der Gruft. Entstanden ist dieser sehr eigentümliche Text vermutlich erst um die Wende zum zweiten Jahrhundert. Später hat ihn ein Bearbeiter erweitert.
Evangelist Lukas
(Gemälde von El Greco, um 1605)
ERICH LESSING/AKG
Es kommt Johannes nicht darauf an, Widersprüche zu vermeiden. Er will die Erlösungstat Jesu nicht mit der Historie verbinden wie Lukas, für nette Weihnachtsgeschichten ist hier kein Platz. Johannes schreibt einen Besinnungstext, ihm geht es um Transzendenz, um die Göttlichkeit dieses Jesus. Nur durch Jesus weiß die Welt, wer Gott ist – andere Religionen und Bekenntnisse sind damit vom Heilsgeschehen ausgeschlossen. Johannes wirbt nicht mehr, Johannes entfaltet eine Christologie. Er schafft seine eigene Sprache, metaphorisch und rätselhaft. Bewusst konstruiert er Missverständnisse zwischen Jesus und seinen Gesprächspartnern. »Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten«, sagt er der Samariterin am Jakobsbrunnen. Die Frau will nun von dem Wasser, damit sie sich künftig den Weg zum Brunnen sparen kann – der Leser aber versteht das Gleichnis, er wird zum Verbündeten des Evangelisten gegen die unverständige Welt. Das jüngste der Evangelien ist nicht für die Mission geschrieben, sondern für die Meditation, für die Glaubensvertiefung der bereits Bekehrten.
Markus und Matthäus, Lukas und Johannes – Evangelien werden diese vier Jesus-Erzählungen genannt, frohe Botschaften, wie die Nachricht von der Thronbesteigung eines römischen Kaisers oder der Geburt eines Kaisersohns. Sie bilden den Kern der neuen, christlichen heiligen Schrift, dazu kommen die Apostelgeschichte und die Apokalypse, die echten und unechten Paulusbriefe, die sogenannten katholischen Briefe, insgesamt 27 Schriften – und die hebräische Bibel, das jüdische Erbe. Ab dem 2. Jahrhundert setzt sich diese Auswahl nach und nach durch, doch das früheste überlieferte Bekenntnis zu diesem Kanon stammt von Athanasius von Alexandria aus dem Jahr 367: »Dies sind die Quellen des Heils … Niemand soll ihnen etwas hinzufügen oder etwas von ihnen entfernen.« Ein schlichter Satz nach jahrhundertelangem Ringen um die richtige Auswahl der Schriften; das Neue Testament, es hätte auch ganz anders aussehen können.
Denn in den jungen Gemeinden kursieren weitere Erzählungen. Das Thomasevangelium zum Beispiel, ägyptische Bauern fanden es zusammen mit anderen frühchristlichen und gnostischen Schriften 1945 in vergrabenen Tonkrügen in der Nähe des kleinen Ortes Nag Hammadi. Es enthält Sprüche und Aussagen, die Jesus getan haben soll, einige könnten authentisch sein; es übernimmt aber auch Ideen aus anderen zeitgenössischen Kulten. Oder das Judasevangelium, von dem Textfragmente erst vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit auftauchten. Der Verräter Judas
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